Merke: Du sollst keinen deutschen Supermarkt besuchen, wenn Du soeben erst aus Nordwales zurückgekehrt bist! Mir ist das passiert. Und der Kulturschock könnte gar nicht größer sein. Es ist für viele in unserem Land wohl unverständlich, doch Waliser rammen ihre Einkaufswagen nie in die Hacken eines anderen! Sie drängeln nicht an der Käsetheke vor. Sie verdrehen nicht die Augen, wenn einer an der Kasse nach Kleingeld sucht, um passend zu zahlen. Sie finden es vollkommen in Ordnung, wenn man seine Einkäufe in normalem Tempo statt im Akkord verstaut. Waliser sind gechillt.
Und vielleicht färbt das ab?! Vielleicht haben wir deshalb viel weniger von Nordwales „geschafft“ als wir dachten. Bzw. auf viel kürzerer Strecke viel mehr erlebt, als wir für möglich gehalten hätten. Daher können wir auch nicht unsere Lieblingsplätze in Nordwales vorstellen – sondern nur unsere
Lieblingsplätze im Norden von Nordwales
Selbst das ist gar nicht so einfach. Obwohl wir nur einen Zipfel von Wales gesehen haben, scheint es uns das Land vielfältig wie kaum ein anderes. Nordwales lässt sich schlecht mit anderen Ländern vergleichen. Manche Ecken erinnerten uns an England, manche an Irland oder an Schottland, aber manche auch an die Alpen oder sogar an Reykjavik. Diese echt betörende Mischung hat uns ganz schön den Kopf verdreht. Schwer zu sagen, was das Tollste war. Aber die folgenden 4 Lieblingsplätze zeigen vielleicht ganz gut den Reichtum dieses kleinen Wunderlandes.
1. Die Pier von Llandudno
Wer wie wir eine Schwäche für Seebrücken hat, wird die Pier von Llandudno lieben. 1877 im Indian Gothic Style erbaut, ragt die Seebrücke 700 Meter in die Irische See wie „der schwimmende Palast eines Maharadschas“ (Wikipedia). Ungewöhnlich sind die zwei Zugänge. Typisch die unvermeidlichen Spielhallen und Kitsch-Kioske. Doch das hat seinen eigenen Charme. Besonders in der Vorsaison, wenn die meisten Pavillons noch leer stehen und lediglich in der Rotunde am Ende des Piers Automaten blinken und piepen, ohne dass je jemand daran spielte. Geöffnet haben derzeit immerhin ein Pub, ein Café und eine Eisdiele. Und mehr braucht ja kein Mensch.
Uns hat es übrigens nicht nur die Pier angetan sondern ganz Llandudno. Das viktorianische Seebad gilt als Perle der Golden Coast und ist ein toller Spot um, den Norden von Nordwales sternförmig zu erkunden. Was Llandudno so besonders macht, haben wir hier genauer beschrieben.
2. Der Pen-y-Pass in Snowdonia
Was muss man überhaupt noch groß erklären, wenn ein Nationalpark schon Snowdonia heißt? Besser ist nur noch sein walischer Name: Eyriri – Adlerhorst. Aufgrund seiner spektakulären Bergketten ist der Nationalpark ungeheuer beliebt. Im Sommer soll er geradezu überlaufen sein. Doch im März, wenn die Gipfel noch mit Schnee bedeckt sind, kann man das nicht behaupten. Wunderschön ist der Pen-y-Pass. Hier starten drei Routen auf den Gipfel des Mount Snowdon. Es sind keine Spaziergänge. Man darf sich von der geringen Höhe der Berge nicht täuschen lassen. Nicht umsonst trainierten hier die Erstbesteiger des Mount Everest und der Leitung von John Hunt.
Nicht dass wir auf den Snowdon gestiegen wären. (Wir nahmen den Zug – davon ein anderes Mal mehr.) Aber wer so richtig Bergwandern will, kann direkt auf dem Pen-y-Pass an der Ausgangsbasis der klassischen Everest-Route in einem schönen Hostel übernachten.
In Snowdonia ändert sich das Wetter schnell. Falls man mal das Glück hat, zur Lunch- oder Dinnertime in einen Regen zu geraten, gibt es vielleicht keinen besseren Ort zum Aufwärmen als die Lehnsessel vor dem knisternden Kamin des
3. Ty Gwyn Hotel & Restaurant in Bewts-y-Coed
Die kleinen Gaststuben im Kutscherhaus von 1636 sind auf genau die Art überladen und durcheinander, die nur bei Briten super aussieht. Die Küche ist groß-ar-tig, die Atmosphäre wunderbar gastlich. Hier gehts zur Seite.
Im Anschluss sollte man unbedingt noch durch Bewts-y-Coed schlendern. Der Ortskern besteht fast ausschließlich aus Schieferhäusern im viktoranischen Stil und durch die Dorfmitte gurgelt ein Fluss. So stelle ich (die ich keine Ahnung davon habe) mir Urlaub in den Bergen vor.
Am River Llugwy entlang führt ein hübscher Weg zunächst zu den Swallow Falls und weiter zum Ugly House, das alles andere als ugly ist. Mit ganz viel Schwein ist man nach der einstündigen Wanderung wieder bereit für ein paar Scones im Tearoom.
4. Die South Stack Cliffs auf Angelesy
Vom Besucherzentrum des Vogelschutzgebietes South Stack Cliffs sieht man linker Hand auf den Ellin´s Tower und rechter Hand zum South Stack Lighthouse. Der Leuchtturm liegt auf der Mini–Insel South Stack, die der kleinen Insel Holy Island vorgelagert ist, die wiederum vor der großen Insel Anglesey liegt. Alle Inseln sind mit Brücken unteinander bzw mit dem Festland verbunden. Schon der Weg zum Besucherzentrum ist also wunderschön, falls man auf Inseln steht (wie zum Beispiel Kate & William, die auf Anglesey wohnen).
Superduper Wanderung: Vom beliebtesten Strand auf Holy Island – Treaddur Bay – führt ein Klippenweg 10 km nach South Stack; stets sacht bergauf. Der Pfad passiert so herrlich verschwiegene Buchten und schlängelt sich zeitweise recht dicht am Abgrund entlang. Also hübsch aufpassen, auch wenn die Ausblicke einem die Sinne vernebeln.

Guter Platz zum Bird Watching: Ellins Tower
Wer nicht so lange laufen will, kann sich auch oben beim Besucherzentrum gut ein bis zwei bis drei Stunden rumtreiben. Das Café hat ganzjährig geöffnet. Die kleine Ausstellung im Ellin´s Tower jedoch nur von Ostern bis September. Ob und wann der South Stack Leuchturm wieder besucht werden kann, ist ungewiss. Derzeit wird nach einem neuem Betreiber für das Visitors Center gesucht.

400 Stufen sind es bis zum South Stack Lighthouse
Die Royal Society for the Protection of Birds empfiehlt ihren Besuchern, sich eine stille Bank zu suchen und nach Basstölpeln und Delphinen Ausschau zu halten. Wir haben beides nicht entdeckt. Nur einen Himmel, der sich jede Minute änderte und die Irische See in die unglaublichsten Farben tauchte.
Südlich von South Stack erheben sich die Berge der Halbinsel Llȳn. Auch wieder so eine „Area of Outstandig Natural Beauty“. Wieder ganz anders als der Rest von Nordwales soll sie sein und vor ihrer Küste liegt der Legende nach Avalon. Natürlich hoffen wir, uns irgendwann ein eigenes Bild davon machen zu können.
Aber jetzt brauchen wir erst einmal Zeit, um unsere aktuellen Wales-Bilder und Gedanken zu sortieren. Es könnte eine Weile dauern. Wir bemühen uns nämlich schwer, das chillige Tempo der Waliser noch ein wenig beizubehalten. Z.B. gemächlich Auto fahren, langsam gehen, einem Fremden was Nettes sagen, im Supermarkt anderen den Vortritt lassen, in der Sonne stehen bleiben und lächeln – einfach nur so. Mal gucken, wie lange das funktioniert.