Meinem Empfinden nach löst kein anderer Urlausbort in Norddeutschland so viel Spott aus wie Kampen. Kampen gilt Vielen als Synonym für Schickimicki. Irgendwie verhaftet in den 80ern, bevölkert von Männern in Colour-Blocking-Outfits und Frauen, die entweder zu viel Goldschmuck tragen oder dem Typ Hamburger Eisente angehören. Obendrein noch der un-säg-liche Nachwuchs!
Ich selber habe das nie so empfunden. Für mich waren das Vorurteile. Und nun hat mich ausgerechnet der Tourismus-Service Kampen ins Grübeln gebracht. Denn dort hält man das, was ich für Vorurteile hielt, offenbar für die Wahrheit. Und sie werden ihre eigene Zielgruppe ja kennen…

Den besten Blick von Kampen gibts auf der Uwe-Duene
Tourismus ist ein Riesending für Norddeutschland. Ein enormer Wirtschaftsfaktor. Dennoch bekommen wir von Touristikern, Gastronomen, Kaufleuten usw. erstaunlich oft folgenden Standardsatz zu hören: „Wir wollen hier schließlich kein zweites Sylt werden.“
Das kann ein guter Plan sein. Wenn es denn aus den richtigen Gründen geschieht. Gute Tourismuskonzepte kümmern sich aktuell vor allem um Naturschutz (so wie in Kampen) und versuchen gleichzeitig die Einheimischen vor totaler Abhängigkeit vom Tourismus zu schützen (so wie in Kampen leider nicht).
Insofern kann man es also durchaus besser machen als Kampen.

Das Rote Kliff leuchtet wenn die Sonne über die Kliffkante guckt: nachmittags bis abends.
Manchmal kommt es mir aber auch wie eine Schutzbehauptung vor, wenn Tourismusmenschen behaupten, ihre Gegend solle um Gottes Willen kein zweites Sylt werden. Weil: erst mal Können vor Lachen. Mit 40 km allerfeinstem Nordseestrand am Stück und gewaltigen, gewaltigen Dünenlandschaften ist Sylt quasi die Blaupause des klassischen Nordseetraums. Da kommt in Deutschland nun mal nichts ran.

Licht, Wetter, Zeit – alles egal: Nordsee geht immer
Klar, es gibt auch andere super-duper-tolle Regionen. In Detailfragen könnten sich meiner Meinung einige Seebäder durchaus mal ein Stück abschneiden von Sylt. Besonders in Punkto Gastfreundschaft. Besonders von Kampen. Kein Quatsch. In diesem Sinne spielt Kampen in der ersten Liga. Gerade jetzt außerhalb der Saison ist auffällig, dass man eben nicht versucht, den Gästen den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen. Ganz im Gegenteil. Alles hübsch lässig.

Strandkoerbe in Traumlage: umsonst wie alles in der Nebensaison
Andernorts haben wir selbst in der Nachsaison schon Unsummen in Parkautomaten versenkt – teils auf völlig verwaisten Parkplätzen. Wir haben die grässlichsten öffentlichen Toiletten der Welt sehen müssen. Oder keine gefunden. Wir trafen in mittelguten Restaurants auf mittelfreundlichen Service. Häufig war´s auch schlechter. Oder nichts im Ort hatte geöffnet. Alle diese Sachen erlebt man in Kampen einfach nicht. Für ganz Sylt würde ich behaupten: Es ist eine durch und durch freundliche und aufgeschlossene Insel.

Drinks mit Aussicht: das Grande Plage am Strand vom Kampen
Also, unterm Strich scheint mir Kampen viel angenehmer als sein Ruf. Umso mehr betrübt mich eine Aktion, die das Klischee von Kampen nicht nur bedient sondern noch mal tüchtig unterbietet. Ich stieß darauf morgens an der Wattseite.

Die Sonne geht in Kampen an der Wattseite auf
Kampen und die Selfie Points
Zunächst hielt ich das Ganze für einen gelungenen Witz. Denn wer würde an dieser Stelle schon sein Gesicht fotografieren, das er ohnehin jeden Tag mehrmals sieht? Zumal doch der Sonnenaufgang flüchtig und zart ist und jede Minute etwas ganz Besonderes. Gar nicht mal schlecht, dachte ich, da will einer der Gesellschaft den Spiegel vorhalten.

Exklusiv: den Sonnenaufgang erlebt man oft ganz allein
Doch kurz darauf stieß ich auf den zweiten Selfie Point. Da schwante mir, dass es leider nicht ironisch gemeint ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Marketingmaßnahme des Tourismus-Service Kampen. Sie schreiben:
„Einzigartig – rund 20 Selfie Points laden in Kampen Selfie-Fans ein, sich selbst und Kampen perfekt in Szene zu setzen. Wer sich vom Selfie-Fieber anstecken lassen möchte, findet an und um die wichtigsten Plätze in Kampen sogenannte „Selfie Points“. Die weiß markierten Punkte sind so platziert, dass sie „eine perfekte Selbstportrait-Möglichkeit (…) bieten.“
Großes Gesicht vor kleiner Natur. Euer Ernst, lieber Tourismus-Service Kampen?

Vom Selfie Point fotografiert: eigentlich soll ein Gesicht die Sicht nehmen
Da man die eigene Kundschaft offenbar für etwas vertrottelt hält, wird nachgeschoben: Aber ein Selfie, was ist das eigentlich? Spätestens seit der englische Wörterbuchverlag „Oxford Dictionary“ den Begriff „Selfie“ zum englischen Wort des Jahres 2013 kürte, hat dieser innerhalb kürzester Zeit weltweite Popularität erlangt. „Die Welt“ beschreibt ein Selfie augenzwinkernd als einen „Foto-Quickie mit sich selbst“, also eine Art modernes Selbstportrait mit Hilfe einer Smartphone Kamera. Na, dann! Nur, wozu?

Bank mit Aussicht und dem Duft von frisch gebackenem Kuchen aus der Kupferkanne
Mag sein, ich bin seltsam. Aber ich kann Selfies nichts abgewinnen. Sie langweilen mich. Genau wie Füße im Sand (= footsie lt. Wiki) oder sehr viel Haar von hinten (=helfie). Klassische Reiseblogger-Pose nennt das Ulrike vom Bambooblog, die sich neulich Gedanken darüber gemacht hat, warum gigabyteweise Selfies in die Weltgeschichte gepostet werden.

Schon wieder kein Selfie. Dafuer der klassische Kupferkannen-Blick.
Nun gut, Menschen sind unterschiedlich. (Und wer Selfies mag, findet auf der Seite des Tourismus-Service übrigens die passenden Hashtags.) Wer sich lieber von der Schönheit Kampens überwältigen lassen möchte, kann den Bildern dieses Beitrags folgen. Sie zeigen alle Plätze, die man meiner Meinung nach mal gesehen haben sollte, bevor man über Kampen die Nase rümpft. Fehlt nur noch das Wiener Schnitzel mit Gurkensalat von Manne Pahl. (Denn Foodies mache ich auch nicht oft).