Normalerweise wäre ich nicht um halb sieben in Hamburg aufgebrochen, um bei einer Regenwahrscheinlichkeit von 80% im Katinger Watt zu spazieren. Aber heute ist nicht normalerweise. Heute ist Familienurlaub angesagt.
Kein Familienurlaub mit kleinen Kindern (wo man als Elternteil schön bestimmen kann, was passiert und was nicht). Sondern der jährliche Kurztrip mit meiner Mutter und ihren beiden Schwestern. Also insgesamt vier äußerst erwachsenen Frauen.
Und daher spaziere ich präventiv. Ich bin extra zwei Stunden vor den anderen angereist. Man kann nämlich nie wissen, ob man überhaupt noch zum Spazieren kommt, wenn die drei Damen erst mal eintrudeln.
Genau wie man nie wissen kann, ob es in Schleswig-Holstein bei einer Regenwahrscheinlichkeit von 80% regnen wird. Besonders wenn ein ordentlicher Wind geht, könnte der Tag genauso gut mit strahlendem Sonnenschein enden. Das Wetter ändert sich im Minutentakt. Was eine hübsche Analogie auf die Atmosphäre in (vielen) Familien ist.

Aussichtsturm Katinger Watt mit Blick auf den Eiderdamm
Das Katinger Watt ist in seiner heutigen Form etwa so alt wie ich. Und längst kein Watt mehr sondern trockengelegt und durch den Eiderdamm vor Überflutungen geschützt. Heute wird es zu einem Drittel landwirtschaftlich genutzt, der Rest ist bewaldet oder wird von Wasser- und Grünlandflächen eingenommen, die vorrangig dem Naturschutz dienen.
Und da sieht man mal, dass die Natur viel flexibler ist als der Mensch. Während sich eine Landschaft offensichtlich ändern kann, werde ich in meiner Familie seit Urzeiten auf die Rolle der leicht waldschratigen Person festgenagelt. Alles aufgrund einer unbedachten Äußerung, die ich vor Jahrzehnten getätigt habe.
Damals sagte ich, mir würde es reichen, wenn man sich einmal im Jahr trifft. Was zugegeben nicht besonders nett klingt. Aber ich meinte damit 1.) nur Feste. Und 2.) genieße ich inzwischen vielleicht von allen am meisten, wenn wir zusammen sind. Aber ich kriegs natürlich trotzdem regelmäßig aufs Butterbrot geschmiert. Gern auf plattdeusch. Eenmol in´t Johr, sagen sie dann und Hehehe.
Zurück zum Katinger Watt. Seit ich vor etwa eineinhalb Jahren vom Eidersperrwerk aus den schmalen Damm links der Eider gesehen habe, wollte ich unbedingt mal drauf laufen. Ich hab´s bisher nicht hingekriegt. Wie man ja die meisten Dinge nicht hinkriegt, wenn man sie „irgendwann mal“ machen will.
„Irgendwann mal“ never happens, man. Umso toller finde ich, dass wir dieses Jahr zum dritten Mal unsere gemeinsame Reise hinkriegen. Bei 3 Malen kann man schon von Tradition sprechen. Und ich freu mich schon auf die anderen.
Aber erst mal muss ich meine Waldschratigkeit ausleben. Man erreicht den Damm über einen kleinen Stichweg kurz hinter dem Hafen. Von einem Mini-Parkplatz (für ca. 5 Autos) schlängelt sich ein Pfad vorbei an einem See bis zur Eider.
Der dazugehörige Parkplatz ist nicht ausgeschildert, aber leicht zu finden: er liegt direkt gegenüber der Zufahrt zum Restaurant Mahre. Es wäre das Einzige, womit man meine kleine Tante (im Gegensatz zur Großen) zu einem Besuch im Katinger Watt überreden könnte. Besonders weil man im Mahre ein Picknick ordern kann. Sowas liebt sie; während sie Spazierengehen hasst. Bei mir liegt die Sache genau anders herum.
Aktualisierung 2019: Das Mahre hat leider seine Pforten für immer geschlossen. Mir bleibt nur die Hoffnung, das irgendwann ein ähnlich gute Gastronomin wie die bisherige etwas Neues an gleicher Stelle wagt.
Eigentlich ist es also völlig unmöglich, dass wir auf Reisen etwas finden, das uns gleichermaßen gefällt. Wären wir Freundinnen, kämen wir bestimmt nicht auf die Idee, zusammen wegzufahren. Unsere Interessen sind einfach zu unterschiedlich. Weil wir mehr als Freunde sind, machen wir´s trotzdem; ziemlich oft sogar.
Nicht, dass das immer voll easy wäre und ohne kleinere Situationen abginge. Schließlich ist man mit seiner Familie häufig nicht gerade zimperlich und gleichzeitig extrem zart besaitet. Und man ertappt sich immer mal wieder dabei, in pubertäre Verhaltensweisen abzugleiten. Etwa dass man urplötzlich zornig wird wie eine Fünfzehnjährige. Weil da bestimmte Knöpfe gedrückt oder Sachen gesagt werden, auf die man schon immer allergisch reagiert hat.
Dennoch – oder gerade deshalb – bin ich gern en famille unterwegs. Unter dem Strich kann man nämlich feststellen, dass das Verständnis füreinander mit den Jahren besser und besser wird. Genau wie das Katinger Watt.
Mehr Infos gibts beim Nabu und bei Watt & Meer.