Die Meldorfer Bucht scheint unter den unzähligen Urlaubsregionen, die mit dem Modewort Entschleunigung werben, die eine zu sein, die es wirklich ernst meint. Wir spüren es sofort, als wir 99 km nordwestlich von St. Pauli aus dem Auto steigen. Ruhig geht es auf dem Markplatz zu. Entspannt. Beim Italiener gibts einen Platz in der Sonne und hervorragenden Kaffee, garniert mit Schnacks. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr neben Jesus sitzen, begrüßt der Inhaber der Pizzeria neue Gäste, und schlägt dabei Volko leicht auf die Schulter, als seien die Beiden seit Urzeiten bekannt. Der Mann, der am Nebentisch lacht, heißt Jürgen und kam gestern aus dem Urlaub zurück. Das wissen wir inzwischen. Und noch einiges mehr. Kleinstadtleben. So wie es sein soll.
Meldorf ragt aus der Masse strukturschwacher Kleinstädte wie der berühmte Meldorfer Dom aus der Marsch. Als einzige Gemeinde Schleswig-Holsteins darf sich Meldorf CittáSlow nennen. Die aus Italien stammende Bewegung steht für die Förderung heimischer Produkte, regionaler Einkaufskultur und Einzelhandel statt Franchise-Ketten. Auch Bildung, Kultur, Freizeitmöglichkeiten und Nachhaltigkeit sind wichtige Bausteine. Kurz: Kleinstädte sollen ihren Charakter bewahren.
Als Fair-Trade-Town und kulturellem Mittelpunkt Dithmarschens waren die Aufnahmekriterien für Meldorf gar kein Problem. Langsamkeit und sorgsamer Umgang mit der Natur gehört in der Meldorfer Bucht eh dazu. Zum Strand geht es 8 km in Tempo 60. Die Straße zieht sich schnurgerade zum Sperrwerk Speicherkoog mitten durchs Naturschutzgebiet.
Das erste Mal war ich vor exakt einem Jahr hier, als ich in Friedrichskoog Spitze Dithmarschens Licht lieben lernte. Und obwohl Volko und ich nicht zu den Paaren gehören, die immer alles zusammen machen müssen, nahm ich mir damals vor, noch einmal mit ihm wiederzukommen.
Wie kalt das damals war, denke ich jetzt, wie herbstlich schon. Heute ist hingegen Hochsommer. Und kaum ein Auto auf dem Parkplatz, niemand der Gebühren verlangte; auch nicht für die Strandkörbe an der Badestelle Elpersbüttel. Hochsommertage Anfang September sind ein Geschenk der Götter.
Es ist Juli-heiß. Da bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder in den Schatten hinter dem Strandkorb (das macht Volko). Oder baden (darüber denke ich nach). Es ist zu seltsam für jemanden, der über Norddeutschland bloggt: Ich bin noch nie an einem Grünstrand baden gegangen.
Es müssen immerhin ein paar Sachen zusammenkommen, damit eine Normalsterbliche am Grünstrand baden will. Es muss heiß sein (ist es). Es muss Flut sein (ist es). Und man muss sich trauen (ich bin mir noch nicht sicher).
Mein Problem: Man kann am Grünstrand nicht studenlang die Temperatur testen, wie ich es am Sandstrand gern tue. Da stehe ich ewig mit nur einem Zeh im Wasser, bis ich mich irgendwann überwinde – oder auch nicht. Man kann am Gründstrand auch nicht auf den Grund sehen. Die Nordsee führt Sand mit sich. Ist unergründlich.
Andererseits trauen sich Andere auch. Nachdem fünf der ca. zehn Badegäste entschlossen in die Nordsee marschiert sind, gehöre ich zu den unterdurchschnittlich Mutigen am Grünstrand von Elpersbüttel. Das geht nicht. Also los jetzt. Ab zur Treppe.
Ich glaub, ich will doch nicht, denke ich, beim ersten Nordseekontakt. Dann reisse ich mich zusammen. Steige schnell die Treppe hinunter. Auf der letzten Stufe erreicht das Wasser meinen Bauchnabel (immer die schlimmste Stelle, finde ich). Der nächste Schritt ist Wattboden. Schmodderig; nicht fest wie am Sandstrand. Inneres Iiiiih und Krebsgetierpanik. Und allein deswegen atme ich noch mal ganz tief durch und lass mich reinfallen. Endlich.
Ein, zwei Schwimmzüge später muss ich lachen vor Freude. Die Nordsee ist wie kühle Seide. Die Sonne heiß. Die Stille total. Ich habe wieder zwei entscheidende Dinge dazu gelernt. 1.) Baden am Grünstrand ist wunderbar. 2.) Zukünftig muss ich nicht mehr ganz nach St. Peter Ording, um in die Nordsee zu springen.
Baden in Norddeutschland ist nicht nur toll, während man im Wasser ist sondern auch danach. Vielleicht ist der Moment danach sogar noch besser. Wenn man noch nass und kühl ist und sich von der Sonne trocknen läßt. Dann kann man es gut im Strandkorb aushalten. Allerdings nicht lange. Denn man fühlt sich so lebendig. Möchte laufen. In der Meldorfer Bucht beispielsweise nach Helmsand.
Die ehemalige Hallig liegt gar nicht weit entfernt von der Badestelle Elpersbüttel. Google Maps tut so, als seien es lediglich 2,5 km. Mir kommt es allerdings viel, viel weiter vor. Aber es ist natürlich auch so, dass einem die Perspektive an der Nordsee leicht verrutscht. Während ich die Badestelle beim Blick zurück irgendwann nicht mehr ausmachen kann, rückt das (20 km entfernte) Büsum immer näher. Die Welt wird zunehmend unwirklicher.
Die Meldorfer Bucht ist eine Matrix. Gerade mal 100 km von Hamburg entfernt. Ich begegne: Niemandem. Ich höre: Seevögel, Schafe und das Flip-Flop meiner Flip-Flops. Irgendwo in der Ferne tuckert ein Kutter. Es ist ganz schön heiß. Und es gibt ehrlich gesagt bessere Ideen, als ohne Wasser nach Helmsand laufen zu wollen.
Überhaupt, denke ich, als Helmsand allmählich Gestalt annimmt, wird mir das langsam zu schön hier. Obwohl ich wirklich nicht (ich wiederhole mich) alles mit Volko zusammen machen muss, hätte ich ihn jetzt gern dabei. Ich glaube, dass es ihm gefallen würde. Ich glaube, dass es jedem Menschen gefallen würde, der was für kleine Großartigkeiten übrig hat.
Auf dem Deich vor Helmsand sieht man gut, dass die Hallig in gerader Linie zum Meldorfer Dom liegt. Wie ein mahnender Zeigefinger erinnert er mich daran, wofür CittàSlow steht. Langsamkeit. Entschleunigung. Und zwar nicht als Werbeslogan. Sondern wirklich.
Und da entscheide ich mich, es für heute gut sein zu lassen. Morgen ist auch noch ein Tag. Einer, um am Grünstrand zu baden, hinterm Strandkorb zu schlafen, nach Helmsand zu laufen oder was ganz anderes zu machen. Hauptsache, man bleibt entspannt.
PS.: Morgen ist wirklich noch ein Tag, um am Grünstrand zu baden, sagt der Wetterbericht. Übermorgen auch. Und Freitag. Und Sonnabend. Also, nichts wie los. Es lohnt sich!
PPS.: Am Tag nachdem ich zum ersten Mal am Grünstrand badete, sind wird dann wirklich nach Helmsand gelaufen. Den Bericht findest Du hier: Klick. Und danach war ich war wieder am Grünstrand baden. Da waren Himmel und Nordsee so weich. Ich hab so was noch nie gesehen. Mein zweiter Grünstrand war eigentlich noch besser als der erste.
Hallo, Stefanie,
das ist die wohltuende Alternative zu den vollen Touristenzentren und ich wünsche mir, dass genau solche Orte und Kleinstädte ihren Charme zu schätzen wissen und bewahren. Dithmarschen wird oft so abgetan, aber es ist in Wirklichkeit so reizvoll. Und sogar Miele haben wir in Meldorf entdeckt. Hat dort auch mit viel frischem Wasser zu tun:-)
Ja, Miele haben wir auch gesehen 😉 Übrigens kannst Du gern hier verlinken, wenn´s mal thematisch passt. Damit die Leute auch Deine feine Seite finden. Liebe Grüße, Stefanie
Liebe Stefanie,
tapfer – mein Respekt: du hast es wirklich getan! 🙂
Baden in Friedrichskoog oder der Meldorfer Bucht war nie so meins…ich muss möglichst den Grund sehen können.
Aber die ehemalige Heimat hast du wieder ganz nah an mich heran gebracht: Meldorf, der Dom, der Domplatz und natürlich der Italiener, dessen Begrüßungssprüche ich so oft gehört habe. 🙂
Aber ich muss gestehen, ich bin nie auf die Idee gekommen nach Helmsand zu laufen….vielleicht sollte ich das nachholen?
Schön, dass es dir – inzwischen schon so weit und so viel im Norden gereist – auch in Dithmarschen so gut gefällt!
Liebe Grüße und genieße die so schönen Herbsttage (ich muss sie leider mehr im Stau auf den Autobahnen verbringen)
Eva
Ätzend da mit den Baustellen kurz hinter Hamburg. Ich hab drüber nachgedacht, ob Du da wohl oft stehst. Ist ja so weit nach Brunsbüttel. Schade, dass Du nicht gern in Friedrichskoog Spitze badest… da wärest Du sonst ja schnell mal nach Feierabend. Über Helmsand kommt übrigens noch was Gesondertes. So viel vorab: man kann bis zum Halligkopf mit dem Rad fahren. Das ist für Euch ja nicht ganz unwichtig. Liebe Grüße nach Rosengarten, Stefanie
PS.: Ich hab es sogar mehrmals gewagt. (Mehrmals im Sinne von: 2 Mal).
Ja, ich stehe viel im Stau …immer mehr; manchmal brauche ich für die 120 Kilometer 4 Stunden (ohne Stau 1Std 10-15 Minuten!) und es wird die nä Monate noch schlimmer werden, da sie jetzt schon von Heimfeld an Ri Norden nur noch 2spurig machen, den Elbtunnel 1 spurig und nach dem Elbtunnel auch schon mit den Arbeiten für den Altonaer Deckel beginnen 🙁 – Wenn es so weiter geht, muss ich mir noch für die 3 Tage 1 Zimmer mieten. Was könnte ich in der vertanen Zeit alles Schönes machen?!! – Du merkst: ich bin sehr sauer über die Verkehrspolitik! 😉
Mehrmals….echt stark. Dafür hast du wirklich meine volle Bewunderung. 🙂
Uuääh, Stau finde ich auch so schlimm! Elbtunnel 1spurig klingt gruselig. Es ist nebenbei aber auch echt ein Unding, dass Brunsbüttel keinen Bahnhof hat. Vielleicht ist das mit dem Zimmer gar keine schlechte Idee…
Hach! Blogpause hin oder her, da muss ich doch noch mal schnell bei dir vorbeischauen, Stefanie. Sooo schön. Die Lanze für Meldorf und umzu breche ich mit. Gebadet habe ich in der Ecke allerdings noch nicht.
Ist das nach witzig? Da wohnt man so nah dran; war vielleicht auch oft da – und trotzdem gibts Sachen, die ein Bayer oder Schwabe schon viel, viel öfter (oder überhaupt mal) erlebt hat als wir. Danke fürs Pausieren der Blogpause; Stefanie
Da hast Du mal wieder einen meiner Lieblingsplätze erwischt…
Ja?! Schön. Wir müssen auch sagen, dass die Meldorfer Bucht ein heißer Favorit auf unsere Top 3 in diesem Jahr ist. Hätten wir vorher nie, nie, nie gedacht. Das sind eigentlich die besten Orte. Hidden-Champions quasi.
Und wenn mal kein Badewetter ist, dann ab ins Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf. Sooo schön! Flashback in die Kindheit inklusive. 🙂
LG, Nicole
(frau_von_tdrahllov)
Alles klar; dann weiß ich bescheid für´s nächste Mal (dieses Mal wären wir beinahe mit der Draisine gefahren. Der Tipp kam doch auch von Dir. Hat dann aber zeitlich nicht mehr hingehauen.) Liebe Grüße zurück, Stefanie
Also Grünstrand ist ja eigentlich ein Widerspruch in sich: entweder grün oder Strand. Der gehört mit Sand oder Kies. Jedenfalls für mich.
Aber jedem das Seine…
Sonnige Grüße Marianne
Hallo Marianne, beinahe den selben Wortlaut findest Du in meinem Beitrag über Friedrichskoog-Spitze aus dem letzten Jahr. Deswegen war es auch so besonders, dass ich jetzt mal einen Grünstrand ausprobiert habe. Und es gefiel uns tatsächlich so gut, dass wir im nächsten Tagen noch einmal hingefahren sind. Probieren geht eben über studieren :-). Liebe Grüße, Stefanie
Stimmt, probieren geht über studieren. ?? ich war vor Jahren mal in Büsum. Da gibt es auch keinen Sand, nur Wiese. Und Watt. Hmm. War nicht so meins. ?
och jo, büsum, da geht mir das haargenau wie dir…
Moin, so ganz stimmt das mit Büsum und dem Sand nicht mehr.
Eine kleine künstlich aufgeschüttete Bucht gibt es inzwischen. Perlebucht genannt. Im Sommer natürlich entsprechend voll.
https://www.buesum.de/nordseeurlaub/strand-und-baden/familienlagune-perlebucht.html
Ja, muss man mögen, nech? (Mir gefällts nicht. Aber ich kann mir vorstellen, mit Kindern hat man einen anderen Blick darauf).
Moin Stefanie, ab Mitte der 70er habe ich jeden Sommer mit meinen Eltern in Büsum-Deichhausen verbracht. Ich hab es gut in Erinnerung, die Eltern sitzen im Strandkorb und du bist die ganze Zeit am Wasser mit Sandburgen bauen usw. beschäftigt. Später in den 80igern ging es dann immer nach Amrum. Amrum ist natürlich schöner und abwechslungsreicher…..
vg, kv
Schöön! Will auch! Und Bauchnabel trifft es genau, deshalb kommt dann bei mir der beherzte Sprung 🙂
Ich will eigentlich auch schon wieder. Zu dumm, dass man manchmal arbeiten muss!
[…] kleinen Campingplatz, einen kleinen Hafen, einen Surfsee, zwei Badestellen am Grünstand – ich hatte neulich bereits berichtet – und […]
[…] der Nord-Ostsee-Kanal ja nicht unerreichbar für Hamburger; sondern nur 100 Kilometer entfernt. Von Meldorf aus, wo wir heute einen langen, heißen Tag an der Nordsee verbracht haben, sogar nur 20 Kilometer. […]
[…] Weil nicht viel Zeit war, sind wir im Sommer noch näher an Hamburg geblieben als üblich. Dabei entdeckten wir unsere zweite große Überraschung des Jahres: Grünstrände. […]
[…] und den schlickigen Boden an dieser Stelle in die Nordsee gleiten würde, wie es Stefanie vom Blog „In der Nähe bleiben“ getan hat. Eine Antwort gibt es an diesem Tag nicht, denn entweder sind die Zeiten ungünstig oder […]
[…] PS.: Hier geht´s zu den eingangs erwähnten Nuancen, in denen sich die Badestelle Elpersbüttel von der Badestelle Nordermeldorf unterscheidet: Klick. […]
[…] Baden am Grünstrand – herrlicher, als gedacht, etwa an der Badestelle Elbersbüttel […]