Wollte jeder Deutsche einen Kohl besitzen, könnte Dithmarschen die Lieferung leisten. 80 Mio Kohlköpfe werden jährlich der Erde abgerungen, die so schön fruchtbar ist, weil sie mal Meer war. Vereinfacht gesprochen. (Ich bleibe im Folgenden auf diesem Niveau.) In diesem Sinne: Vor 5.000 Jahren verlief die Küstenlinie Dithmarschens, wo heute plattes Marschland auf einen hügeligen Geestrücken trifft.
Ortschaften mit dem Namenszusatz -donn (für Düne) zeugen von der ehemaligen Meerlage. Manche liegen mittlerweile bis zu 25 km im Landesinneren wie etwa Hochdonn. Dingerdonn gefällt mir phonetisch am besten, St. Michaelisdonn landschaftlich, insbesondere das Naturschutzgebiet Klever Donn (Klev für Kliff).
Am Spiekerberg brachen sich einst die Nordseewellen. Vermutlich sah es hier früher mal so aus wie heute auf Sylt. Die ehemalige Steilküste erhebt sich 30 Meter; exakt wie das Rote Kliff von Kampen.
Dithmarschen und das tote Kliff
Wird ein Kliff nicht mehr von den Wellen erreicht, nennt man es totes Kliff. Bei St. Michel (wie der St. Michaelisdonner sagt) kann man sich diesbezüglich ziemlich sicher sein. Die Nordsee ist inzwischen 17 km entfernt.
Auf der Rückseite des Spiekerbergs gelangt man zum Flugplatz Hopen. Dort kann man absolut nicht glauben, dass man sich in Dithmarschen befindet. Ringsrum nichts als Wälder. Könnte auch der Schwarzwald sein, meinte Volko (der es wissen muss, weil er Schwarzwälder ist.)
Das Wort Flugplatz sollte nicht vor einem Spaziergang abschrecken. Wir haben in Hopen weder einen Menschen noch ein Flugzeug gesehen oder gehört. Dafür aber vielleicht eine Schlingnatter. Zwar hatte ich kein Schlangenbestimmungsbuch zur Hand, doch sie sieht der Schlingnatter von Patrick sehr ähnlich (und Patrick kennt sich aus mit Schlangen).
Vom Golfplatz Donner Kleve bei St. Michaelisdonn ist der wunderbare Rundwanderweg gut ausgeschildert. Er ist angeblich 4 km lang – uns kams länger vor. Was uns sehr recht war.
Dithmarschen und das neue Land
Die Marsch entstand (und entsteht noch immer) durch allmähliche Verlandung des Watts. Der natürliche Vorgang wird seit einigen Jahrhunderten von den Küstenbewohnern beschleunigt und zur Landgewinnung genutzt. Die Marsch ist also relativ jung. Das allerjüngste Land Schleswig-Holsteins findet man im Speicherkoog. Es entstand erst in den 1970er Jahren.
Während Kooge üblicherweise entstehen, indem man das Deichhinterland langsam entwässert, ging man die Sache in der Meldorfer Bucht genau andersherum an. Nachdem der alte Deich in der Sturmflut von 1962 brach und ganze Landstriche evakuiert werden mussten, hielt man sich nicht mehr mit Kleckereien auf, sondern klotzte einen Betonwall mitten in die tosende See hinein.
Nach einem gewaltigen, zehnjährigen Kraftakt war ein Teil der Meldorfer Bucht zwischen Friedrichskoog und Büsum quasi von der Nordsee abgeschnitten. Leicht war es für die Meldorfer bestimmt nicht. Das tut sicher weh, wenn man auf einmal keine Hafenstadt mehr ist und 7 km zum Meer fahren muss, das eben noch vor der Haustür lag. Und es ist ja auch eigentlich gar nicht fassbar.
Der Speicherkoog ist eine eigentümliche Sache; mit nichts vergleichbar. Auf den ersten Blick wirkt er beinahe abweisend, zumindest aber spröde. Auf den zweiten verliebt sich, wer ein bisschen was für Seltsames übrig hat. Mir ist schon häufiger aufgefallen, dass uns gerade die weniger gefälligen Gegenden besonders berühren. Ich bin nicht sicher, warum das so ist.
Vielleicht weil die einfach-nur-schönen Orte an der Nordsee, Ostsee oder auf den Inseln gefühlt sowieso zu Hamburg dazugehören. Ist gar kein großer Unterschied, ob man in Ottensen Burger speist und „irgendwas mit Ankern drauf“ shoppt oder in SPO, Timmendorf, Sylt etc.. Dagegen will ich nichts sagen. Aber man bleibt halt in seinem üblichen Kosmos, kreist weiter um die gleichen Dinge.
Ganz anders geht es einem da an den drei Kiosken der Meldorfer Bucht, die selbst in der Hochsaison nicht verlässlich geöffnet haben. Das Angebot beschränkt sich so ziemlich auf Fischbrötchen, Pommes, Kuchen vom Blech und Beugelbuddel-Bier (Beugel: Bügel, Buddel: Flasche). Die Strandkörbe sind kein Schicki-Micki-Kitsch sondern von Wind und Salz gebeutelte Gebrauchsgegenstände mit Blick aufs Speicherbecken. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die Meldorfer Bucht die spannendsten Visionen und den kreativsten Internet-Auftritt von ganz Norddeutschland vorweisen kann.
Beim Bau des Speicherkoogs wurden 2.000 Hektar Watt und 1.000 Hektar Salzwiesen zerstört. Als Ausgleich schuf man zwei riesige Naturschutzgebiete. Nach nunmehr 40 Jahren hat sich die Natur – vor allem die Vogelwelt – ihre Räume im Kronenloch und im Wöhrdener Loch weitgehend zurückerobert. Weite Teile dürfen nicht betreten werden. Aber es gibt Beobachtungsstellen. Der Anblick ist zum Heulen schön.
Am Speicherkoog gibts weiterhin einen kleinen Campingplatz, einen kleinen Hafen, einen Surfsee, zwei Badestellen am Grünstand – ich hatte neulich bereits berichtet – und Helmsand.
Dithmarschens einzige einstige Insel: Helmsand
Helmsand ist eine ehemalige, unbewohnte Insel. Sie ist inzwischen mit dem Festland verbunden. Von der Badestelle Elpersbüttel spaziert man 2,5 km am Deich lang bis zu dem Damm, der die ehemalige Hallig mit dem Mückenweg verbindet. Der Steindamm ist eineinhalb weitere Kilometer lang, so dass man mit Hin- und Rückweg auf etwa 8 km kommt.
Man kommt übrigens nirgends näher mit dem Auto heran. Jetzt weiß ich das. Neulich wusste ich es noch nicht und erkundigte mich daher beim Parkplatzwächter der Badestelle Elpersbüttel, einem älteren Herrn, gebürtig aus dem Schwarzwald, doch seit 30 Jahren in Dithmarschen ansässig. Leider konnte er mir nicht weiterhelfen.
Es passiert mir häufiger, dass ich Einheimische nach Irgendwas in der Nähe frage und irritiertes Kopfschütteln ernte. Manchmal kommt es mir vor, als würden sie mich für seltsam halten, weil ich überhaupt frage.
Und während ich fassungslos war, dass der Parkplatzwächter in 30 Jahren nie auf Helmsand gewesen ist, ja noch nicht einmal je gehört hätte, wie man da hinkommt, fragte er mich mit der gleichen Fassungslosigkeit, was er denn bitteschön auf Helmsand solle. So wunderten wir uns übereinander. Menschen sind schon recht unterschiedlich.
Ich gebe zu, dass man nicht unendlich viel auf Helmsand unternehmen kann. Man kann „nur“ einen Kilometer in die Nordsee hinauslaufen. Ganz weit weg von allem sein. Vögel beobachten. Der Stille lauschen. Oder den Wellen zuhören. Durch Salzwiesen streifen. Tief einatmen. Und aus. Und sich wie auf einer Insel fühlen.
Helmsand ist klein. Der Halligkopf ist aber doch groß genug, dass sich zwei Spaziergänger, zwei Radfahrer und ein Filmteam nicht auf die Nerven gehen. Wobei ich mich schon frage, warum eine (ich vermute) Schmonzette eine Drehgenehmigung auf einer Insel erhält, die eigentlich dem Vogelschutz dient.
Apropos Vogelschutz: Helmsand ist vom 1. April bis zum 31. Juli für Besucher gesperrt.
Wäre ich Parkplatzwächter an der Badestelle von Elpersbüttel würde ich wohl zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter einmal nach Helmsand laufen.
Für Ausflüger bietet sich die kommende Woche an. Da wird nämlich in ganz Dithmarschen der Kohl gefeiert, der hier so gut gedeiht, weil das Land mal Meer war.
Der Parkplatzwächter ist ja goldig! ? Und das tolle Blumen-Schmetterlingsfoto werde ich mir während der dunklen Jahreszeit immer mal wieder ansehen, damit mir die Zeit nicht so lang wird.
Ahoi Martina; der Parkplatzwächter war super. Während wir sprachen, drängelte sich ein Zechpreller an meinem Auto vorbei. Du hättest Herrn H. sehen sollen, wie er in sein Auto sprang. „Den krieg ich“, rief er noch. Und brauste davon. Viele Grüße (auf die hohe See?), Stefanie
Hallo Stefanie – schön, dass du bei deinem Fund an mich gedacht hast 🙂
Ich muss dich allerdings ein wenig enttäuschen. Zwar gibt es am Klevhang in St. Michaelisdonn in der Tat eines der wenigen, schleswig-holsteinischen Schlingnattervorkommen aber es handelt sich bei deinem gefundenen Tier eher um eine Blindschleiche – einer beinlosen Echse. Im Unterschied zu den Schlangen hat sie bewegliche Augenlider sowie äußere Gehöröffnungen (von Schuppen bedeckt). Zudem kann sie bei Gefahr ihren Schwanz abwerfen. Die Blindschleiche ist allerdings ein willkommenes Beutetier für die Schlingnatter, die hauptsächlich von Reptilien lebt.
Ein hübsches Tier ist sie allemal!
Liebe Grüße,
Patrick
Oh, fachlicher Input. Schön. Und da kann man mal sehen: Unter Blindschleichen gelte ich nicht als gefährlich. Der Schwanz blieb zum Glück dran. Ansonsten hätte ich mich noch mehr erschrocken als ohnehin schon. Liebe Grüße zurück, Stefanie
Wir werden wohl nächste Woche wieder nach Dithmarschen fahren, es ist eine so unterschätzte Region. Und das bleibt hoffentlich auch so. Rauh und schön. Bei uns wird das Kohlosseum auf dem Programm stehen, das Museum rund um den Kohl.
Mal wieder ein so toller Bericht von einem meiner Lieblingsblogs.
Vielen Dank dafür.
Kai
Ah, Wesselburen. Da waren wir noch nie. Ich bin also gespannt, was Du zu berichten hast. Liebe Grüße in die Rosenstadt; Stefanie
Ein unheimlich interessanter Bericht über die Entwicklung der Region, Stefanie! Dadurch ein toller Eindruck vom heutigen Dithmarschen und der eigenwilligen Küstenregion, die du sehr kurzweilig schilderst. Hat mir sehr gefallen! Nicht zuletzt auch aufgrund der herrlichen Fotos, die mir das ganze gleich noch näher gebracht haben.
LG Michèle
Vielen Dank, Michèle.
Moin Stefanie,
Helmsand klingt nach einem perfekten Ort für mich. Danke für die Entdeckung.
Liebe Grüße,
Claudia
Also Claudia, da könnte ich fast drauf wetten, dass es Dir auf Helmsand gefällt!
[…] am Grünstrand badete, sind wird dann wirklich nach Helmsand gelaufen. Den Bericht findest Du hier: Klick. Und danach war ich war wieder am Grünstrand baden. Da waren Himmel und Nordsee wo weich. Ich hab […]
Das ist ein toller Bericht über das spröde, raue Dithmarschen. Genau so ist es! Auf Helmsand war ich tatsächlich auch noch nicht, nach 20 Jahren Dithmarschen. Das werde ich schnellst möglich nachholen! Und die Meldorfer Bucht liebe ich auch. Und wundere mich immer wieder darüber, wie viele Häuser in Meldorf zu verkaufen sind. Warum man dort wohl wegzieht? Ach ja, und pünktlich zu den Kohltagen habe ich gestern meinen Kohlpudding (https://wattundmeer.wordpress.com/2015/10/02/dithmarscher-kohltage/) in den Ofen geschoben. Zur Einstimmung… Liebe Grüße aus dem Wesselburenerkoog, Ulrike
Liebe Ulrike, dass mit den „zu verkaufen“-Schildern an den Häusern ist uns auch aufgefallen. Scheint die letzte Gegend Schleswig-Holsteins zu sein, in der noch irgendwas geht. (Unbegreiflich). Danke für die Erinnerung an Deinen Kohlpudding. Ich mag den ja sehr. Liebe Grüße, Stefanie
[…] 2: In der Meldorfer Bucht findest Du schön kompakt, was Dithmarschen einzigartig macht. Im Grunde läuft alles auf die […]
[…] auch Helmsand lieben. Die ehemalig Hallig ist nur ein Highlight in der unbedingt sehenswerten Meldorfer Bucht. Wobei ich jetzt ins Grübeln komme. Denn eigentlich ist es dort zwischen April und Oktober […]
[…] es für völlig egal hält, ob man die Badestelle Elpersbüttel südlich des Sperrwerks am Speicherkoog aufsucht – oder die nördlich gelegene Badestelle Nordermeldorf. Sie unterscheiden sich auch […]
[…] Zur ehemaligen Hallig Helmsand spazieren – heute ein Vogelparadies […]
[…] das ehemals waldreiche zum waldärmsten Flächenbundesland gemacht. Am traurigsten ist die Lage in Dithmarschen. Dort sind gerade einmal dreikommairgendwas Prozent bewaldet. Zwölf Prozent wären ganz schön […]