Zu glauben man sei „was Besseres“, galt früher so ungefähr als das Allerletzte unter St. Paulianern. Heute fühlt man sich schon überlegen, wenn man nur länger im Viertel lebt als sein Nachbar. Wenn das nicht absurd ist. Noch absurder: Wer das alte St. Pauli sucht, findet es am ehesten in den HSV-Kneipen auf dem Kiez. Weiterlesen
Neueste Artikel
Das Glück beginnt in der Fischbeker Heide
Es gibt Dinge, die ich allein deshalb nicht tue, weil ich sie auch morgen tun könnte; oder nächste Woche oder irgendwann. Dazu zählen gewisse Arztbesuche, bestimmte Renovierungsarbeiten in meiner Wohnung, das Sortieren von Unterlagen/ Fotos/ Dateien und bisher auch Ausflüge, von denen ich weiß, dass sie mir eigentlich richtig gut tun würden. Jedenfalls letzteres kriege ich nun – dem Blog sei Dank – immer öfter auf die Reihe. Ganz oben auf der Liste: Wandern. Weiterlesen
Wasser – Kunst – Insel
Rothenburgsort steht nicht so richtig unter Hotspot-Verdacht. Und ist gerade daher für den geübten Mikroreisenden höchst verdächtig. Schon streckt die Hafencity ihre Finger nach Hamburgs ärmsten Stadtteil aus, den Viele nur von Freilufttanzveranstaltungen in Entenwerder kennen – oder sogar gar nicht. Doch es gibt einen guten Grund, das zu ändern:
Die Wasserkunst Kaltehofe
Inmitten der Elbe,umgeben von Industrie, Brachen, Autobahnen und vereinzelten Erinnerungen an Zeiten, da noch Parkanlagen und Lustgärten die Ufer säumten, wartet die Wasserkunst Kaltehofe darauf, dass mal einer rüber auf die Insel kommt.
Viele Besucher hat sie nicht gerade angelockt an diesem ersten heißen Sonntag 2014. Man kommt auch nicht so ohne weiteres drauf, dass jenseits des Sperrwerks Billwerder Bucht ein kleines Paradies liegt.
Wasser
20 Jahre war das Gelände des ehemaligen Wasserwerks Kaltehofe der Allgemeinheit verschlossen. So haben sich Filterbecken in Biotope verwandelt, die Pflanzenwelt hat sich erholt, einige Vogelarten kehrten zurück, andere siedelten sich neu an. Seit 2011 darf der industrieromantische Naturpark wieder betreten werden.
Unerschrockene können sich die wilhelminischen Schieberhäuschen, in denen es vor Spinnen wimmelt (also echt wimmelt, wimmelt, wimmelt), von innen anschauen. Die hören dann auch das tragische Tondokument eines früheren Schiebers, der unter Spinnenphobie litt. (Habe ich mir von Volko erzählen lassen.)
Kunst
Die alte Direktionsvilla beherbergte früher die Außenstelle des Hygienischen Instituts mit Labor- und Wohnräumen. Heute ist sie Museum und Café. Übrigens recht gelungen für Hamburger Verhältnisse.
Im Flyer ist die Spitze Kaltehofes geschickt abgeschnitten. So könnte man vermuten, man sei wirklich rundum von Elbwasser umgeben. Dabei führt ein Damm rüber zur Halbinsel Billwerder. Doch dass zwischen Kaltehofe und Billwerder eine Autobahn liegt, macht sich wohl nicht so schön auf dem Werbematerial eines Naturparks.
Es lohnt sich allerdings die Autobahn zu unterschreiten – allein schon wegen der Jules-Verne-mäßigen Pumpenhäuser auf der Billwerder Halbinsel.
Schnurgerade läuft man auf dem Deich – eingebettet zwischen Naturschutzgebiet und Norderelbe – bis Moorfleet. Oder man fährt mit dem Fahrrad. Die Strecke gehört zum Elberadweg und ist über Kilometer autofrei.
Spaziergänger gehen irgendwann zurück wie sie gekommen sind.
Radfahrer biegen in Moorfleet am Golfplatz links zum Ausschläger Elbdeich ab.
Immer an der Dove-Elbe entlang folgt eine betörende Mischung aus kleinbürgerlicher Aufgeräumtheit, Gartenbaubetrieben, Industrieanlagen, Yachthäfen, Wohnschiffen, Land- und Kapitänshäuschen, freien Flächen und hafenromantischen kleinen Werften.
Bei Schmuddelwetter ist das schätzungsweise irritierend. An einem lazy, sunday-sunny-afternoon eine ziemlich gute Sache.
Du weißt, Du solltest nach Helgoland, wenn…
Helgoland ist das Piratenschätzchen unter den deutschen Inseln. Noch passt sich der kleine, rote Klotz in der Hochsee dem Zeitgeist nicht an. Windzersaust und sturmerprobt präsentiert er sich im Wirtschaftswunder-Look. Das mag nicht jedem gefallen. Aber das ist ja gerade das Gute. Folgende Personengruppen werden auf Helgoland ganz bestimmt auf ihre Kosten kommen:
Robbenliebhaber & Vogelfreunde
Es gibt wohl keinen zweiten Ort in Deutschland, wo man freilebenden Robben so nah kommen kann, wie auf der Helgoländer Düne. Wer Heuler liebt, sollte zwischen November und Januar nach Helgoland reisen, wenn die Kegelrobben ihre Jungen zur Welt bringen.
Grandios ist das Gekreische am Lummenfelsen, gleich bei der Langen Anna. In Deutschlands kleinstem Naturschutzgebiet nisten rund 10.000 Seevögel wie Dreizehenmöwen, Basstölpel und Trottellummen. Von Mitte bis Ende Juni kann man den Lummensprung beobachten. Angefeuert von ihren Eltern wagen die Jungen den freien Fall von den 40 m hohen Felswänden.
Wer (wie ich) beim Robben- und Vogel-Watching denkt: „Hier riechts ja wie im Zoo“, hat definitiv zu wenig wilde Tiere in seinem Leben gesehen.
Raucher, Trinker, Schnäppchenjäger & Piloten
Ho Ho Ho und ne Buddel voll Rum. So ein Kassenbon ohne Mehrwertsteuer hat was für sich. Helgoland ist seit hundert Jahren zoll- und steuerfrei. Über Zigaretten, Schnaps, Parfum, Freizeitklamotten oder Flugbenzin amortisiert sich die relativ teure Anreise im Nu.
Aber Achtung: Freimengen sollten besser eingehalten werden. Bei Rückreise wartet im Heimathafen der Zoll und bittet Verdächtige schon mal, die Koffer zu öffnen.
Traumatisierte (&) Tagesausflügler
Generationen norddeutscher Schüler verbinden mit Helgoland vor allem: (a) Seekrankheit bei Anreise, (b) einmal um die Insel latschen, (c) bei Sturm und Regen auf die Abreise warten, die wiederum (d) stundenlanges Elend bedeutet.
Die Nordsee kann rau sein. Ein Seefahrt ist nicht immer lustig. Das Pflichtprogramm der Insel mit Tausenden teilen, bereitet auch nicht das größte Vergnügen.
Viel besser ist es, zwei, drei Übernachtungen einzuplanen, um Helgoland in Ruhe zu erleben. Die bummelig 3 Stunden, während die Insel von Tagestouristen überschwemmt wird, kann man sich verziehen. Beispielsweise auf die Düne oder den Meerwasser-Whirlpool auf dem Dach des Mare Friscum Spa.
Überhaupt gibt es erstaunlich viele verschwiegene Ecken abseits der Hauptattraktionen. Im Mittelland etwa ist selbst während der rush hour angenehm wenig los.
Seeleute, Sehleute & Frischluftfanatiker
Schiffsreisen sind toll.
So viele Verkehrsmittel gibts ja nicht, bei denen man die gesamte Reise im Freien verbringen kann. Und weil Schiffsreisen stets am schönsten Spot einer Stadt starten und enden, wird selbst noch das Nachhause kommen zum Erlebnis.
Ist Helgoland schön?
Gestern zur Blauen Stunde vergaß ich kurzfristig zu atmen. Winzige Lämmer bockten und sprangen an der Abbruchkante des Lummenfelsens, als handele es sich um eine sanfte Hügellandschaft. Um sicherzugehen, dass sie die Nacht überlebt haben, laufe ich vor dem Frühstück schnell mal das Oberland ab. Alles in Ordnung. Keine zerschmetterten Schafe in 60 m Tiefe.
Dafür schon wieder ein traumhafter Sonnenaufgang über der Düne. Den außer mir niemand sehen will. Ich bin ganz allein.
Dann entdecke ich 200 Treppenstufen unter mir Volko. Er fotografiert am Südstrand. Wusste ich´s doch, dass wir uns nicht verabreden müssen.
Schön praktisch so eine Insel mit Aussicht. Jedenfalls wenn man gesehen werden will.
In Hamburg sagt man ja „Tschüß“. Auf Helgoland vermutlich „bis später“, weil man sich sowieso irgendwann wieder trifft.
Viel Intimsphäre bleibt den Insulanern nicht. Alles ist winzig. Alles eng. Gerade mal eine Wohnfläche von 20 qm pro Person rechnete man beim Wiederaufbau in den 50er Jahren. So sind auch die Kleingärten genau dies: klein.
Hinter Helgolands Bebauung steckt ein ausgeklügelter Masterplan: Möglichst viel Meerblick für möglichst viele Menschen sollte herausspringen. Möglichst viel Sonne sollte jeder abkriegen und möglichst wenig Wind. Statt die gesamte Insel zu betonieren, wurde verdichtet gebaut, so dass erstaunlich viel freie Flächen der Natur Raum lassen.
Wer einmal in den Windkanälen der Hamburger Hafencity bei schlechtem Wetter spazieren ging, versteht das gleichsam Visionäre wie Soziale an Helgolands Architektur.
Ob das schön ist, ist Geschmackssache. Helgoland ist volle Kanne Wirtschaftswunderland en miniature. So viel gute, alte Bonner Republik gibts nirgends sonst.
Am Falm im Oberland kann man sich vorstellen, wie Westdeutschlands Moderne mal gedacht war, lange bevor die Oggersheimer Gemütlichkeit Einzug hielt.
Helgoland hat sogar eine eigene Farbpalette. In 14 Tönen, ausgewählt vom Hamburger Künstler Johannes Ufer, dürfen die Insulaner schwelgen. Wovon besonders im Unterland auch reger Gebrauch gemacht wird.
Alles in allem ein ganz anderer Schnack als der übliche Friesenbarock der Nordseeküste mit Buddahs statt Gartenzwergen. Man kann´s wohl nur verabscheuen oder lieben.
Wer´s verabscheut, verabscheut es schon lange und hat auch keine Aussicht auf Besserung. Die Insel steht beinahe komplett unter Denkmalschutz. Und so ändert sich in den Straßen von Helgoland wenig bis nichts.
Was aussieht wie das Traumhaus eines Hollywood-Filmstars, ist eigentlich eine Messstation für Aerosole. Und ein guter Platz, um von der Insel Abschied zu nehmen. Direkt unter uns liegt der Spielzeughafen. Ein winziges Polizei-Elektroauto tüddelt mit 10 kmh über die Landungsbrücken. Der Mini-Postbus überholt mit ca. 15 Stundenkilometern. Warenverkehr vor Halunkenjagd. So gehört sich das für ein Schmugglernest.
Wie wir da so sitzen, denke ich: Die Insel ist echt ein Schätzchen. Ein verdrehtes, von Wind und Wetter und Zeiten zerzaustes, seltsames zwar. Aber gerade darum so schön.
Am Anfang gehen die Touristen: Helgolands beste Stunden.
Ein Kurztrip nach Helgoland gehört zu den absoluten Highlights in Norddeutschland. Ein Tagesausflug hingegen wird Deutschlands einziger Hochseeinsel nicht gerecht. Zur Mittagszeit schwappt ein Tagestouristen-Strom über Ober- und Unterland und zerstört im Grunde jede Stimmung.
Die freizeitgekleidete Horde entert Duty-Free Shops, knipst Hummerbuden, pilgert zur Langen Anna, isst schnell noch ein Fischbrötchen und dann ist der Spuk auch schon wieder vorbei. Bepackt mit Plastiktüten voller Zigaretten, Schnaps und Parfum marschieren sie zu den Anlegern oder lassen sich von Börtebooten auf die Seebäderschiffe bugsieren.
Das ist kein schlechtes Schauspiel. Zumindest wenn man selbst zu den Glücklichen gehört, die auf der sich rasant leerenden Promenade sitzenbleiben dürfen. Gar keine Frage: Man muss wenigstens eine Nacht, besser zwei oder drei, auf Helgoland verbringen. Denn jetzt beginnen die besseren 20 Stunden der Insel.
Die Lady von Büsum tutet zum Abschied, gefolgt von der Funny Girl, der Atlantis und schließlich dem Halunder-Jet und ich fühle mich schon wieder wie in meiner Kindheit. In meiner Geburtsstadt spielten Butterfahrten eine große Rolle. Tagestouristen sind mir vertraut, auch bei uns gabs eine Atlantis und unsere Funny Girl hieß Seute Deern.
Unvergessliches Abenteuer: ein Kurztrip nach Helgoland
Ganz wie dort & damals schließen die Geschäfte auf Helgoland um sechs. Und dann muss auch bald zu Abend gegessen werden. Die Sonne geht heute um 20.36 Uhr unter. Das will man natürlich draußen erleben.
Bis dahin ist man gut im Restaurant des Hotels Rickmers Insulaner aufgehoben. Wir bestellen Knieper, also Kneifer, womit die Scheren von Taschenkrebsen gemeint sind. Die Helgoländer Spezialität gibts fast überall auf der Insel und ist im Gegensatz zum Helgoländer Hummer nicht vom Aussterben bedroht sowie erschwinglich.
Zu den Kniepern werden klassicherweise Weißwein, Baguette und drei Saucen gereicht. Im Rickmers Insulaner werden sie mit den Worten serviert, um die man hier nicht rumkommt:
Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Sand – das sind die Farben von Helgoland.
Wobei grün uns ein wenig zu sehr nach Wasabi (= neumodisches Zeugs) schmeckt. Ansonsten ein Gedicht. Das wir beinahe schweigend verspeisen, da man sich a) konzentrieren muss, um das Krebsfleisch aus den Scheren zu befreien und b) wirds draußen auf der Promenade wieder etwas lebhafter. Es gibt was zu gucken:
Die Katamarane von den Windparks laufen ein. Seit Helgoland zur weltweit ersten Offshore-Serviceinsel erklärt wurde, sind neue Arbeitsplätze in die Region gekommen – und mit ihnen neue Bewohner.
„Noch richtig echte Kerle“, sagt Volko.
Früh morgens schippern sie die 23 km zu den Windrädern hinaus, wie anderswo die Angestellten mit der S-Bahn in die Innenstadt. Kehren sie am Abend zurück, wird die erste Reihe der Insel zum Tomcat-Walk.
Die Entwicklung ist nicht unumstritten auf der Insel. Zwar scheinen sich die Robben an dem neuen Windpark nicht zu stören, wie von manchem zuvor befürchtet. Aber ob die Urlauber ähnlich entspannt reagieren, steht noch nicht fest.
Fest hingegen steht: Helgoland braucht neue Einnahmequellen. Die Touristenzahlen sind seit Jahren rückläufig. Da kommen den Hoteliers die zusätzlichen Übernachtungsgäste natürlich gut zupass. Das einzige Luxus-Hotel, das Atoll, ist sogar für die nächsten zehn Jahre komplett von der WindMW geblockt. Das wirkt zugegebener Maßen seltsam: Der Designer-Tempel befindet sich am prominentesten Teil der Promenade, dort wo man den größten Trubel annehmen sollte. Doch es ist tagsüber vollkommen unbelebt. Kein Mensch auf der Terrasse, kein Mensch hinter der Glasfassade. Einfach leer steht es da. Ganz anders als unser Hotel gleich ums Eck.
Übernachtungstipp für einen Kurztrip nach Helgoland
Dort geht es in den frühen Morgenstunden sehr viel turbulenter zu, als wir erwartet hatten. Ein Großteil der Zimmer scheint an Offshore- und Hafenarbeiter vergeben. Somit kann man das Aparthotel Klassik Helgoland auch nur denjenigen empfehlen, die sich nicht daran stören, ihr Frühstücksbuffet mit mehr oder weniger raubeinigen Typen in Ölzeug zu teilen. Gegen 05.30 Uhr schlagen Türen, rauschen Duschen und im Speisesaal erklingt Englisch mit dänischem, deutschem, schwedischem, isländischem oder gar keinem Akzent. Sind die Männer erst einmal zu den Windrädern abgedampft, wird´s osteuropäisch – die Landarbeiter sind an der Reihe. Ruhe kehrt erst gegen 09.00 Uhr wieder ein.
Wer´s gelassen nimmt, wird im Klassik Hotel mit ebensolcher Gelassenheit und 50-Jahre-Schick belohnt.
In den Zimmern ist das nicht so konsequent durchgezogen wie im Empfangsbereich und im Frühstücksraum. Gott sei Dank gibts neue Betten, neue Bäder, Flatscreens, 1a Wlan, Kaffeemaschinen und Mikrowellen für jeden. Jedoch die Anmutung bleibt: geborgen wie an einem Wochenende bei Oma & Opa.
Leider konnten wir das aufgrund von extrem lauten Bauarbeiten nicht sonderlich genießen. „Neue Balkone“, erfuhren wir bei unserer Ankunft. „Es tut uns leid, aber wir hatten viel schlechtes Wetter. Die Handwerker sind einfach nicht rechtzeitig fertig geworden“. Wir machten lange Gesichter. Womit wir auf vollstes Verständnis beim wirklich netten Personal stießen.
Helgoland ist rau wie die See
Lauter als die Bauarbeiten an unserem Hotel ist nur noch der Hubschrauber, der wichtige Offshore-Herren transportiert. Womit wir wieder beim Thema wären.
Fünf mal am Tag darf der Helikopter starten und landen. Das macht 10 X Krach pro Tag. Helgoland ist eben kein Heile-Welt-Eiland sondern echt. Hier wird richtig gearbeitet und nicht nur für Touristen aus Folklore-Gründen so getan als ob.
Mir scheint das passend. Helgoländer waren so Vieles in ihrer bewegten Geschichte. Beispielsweise Schmuggler und Walfänger und Piraten. Sie ertrugen Militärstützpunkte, Zerstörung und Evakuierung. Mal galt die Insel als mondänes Seebad, mal wurde sie Fuselfelsen gescholten. Und nun passiert eben wieder etwas Neues.
Gemeinsamer Nenner bleibt: Helgoland ist nichts für solche, die auf andere herabsehen. Hier rümpft man nicht die Nase wegen schlecht gekleideter Touristen, schon gar nicht über schwer schuftende Männer, ja, nicht einmal Raucher werden bekrittelt.
Auf Helgoland wird geraucht wie in der 70ern
Wo sonst noch bekommt man mit der Kuchenkarte einen Aschenbecher gereicht? Das ist uns heute nachmittag beim Kaffeetrinken im Hotel Hanseat passiert. „Ach, Entschuldigung“, sagt die Bedienung, als wir lachen. „Sie wollten wohl gar nicht…“ Das kommt vermutlich nicht besonders häufig vor. Es muss Jahre her sein, dass wir so viele Raucher gesehen haben. Und dabei leben wir immerhin auf St. Pauli.
Leben und leben lassen, ist uns daher stets willkommen. Im Geiste gehen wir schon mal die Single-Ladies in unserem Bekanntenkreis durch, denen wir eine Happy Hour in der Bunten Kuh empfehlen würden. Vor der Hafenkneipe kriegt man besonders lang etwas von der Sonne ab, so dass sie sich erstklassig für einen Drink zum Defilee echter Kerle eignet.
Gleich danach wartet bereits der nächste, der absolute, Höhepunkt des Tages: Die Sonne geht unter.
Viel Schöneres als Helgolands Blaue Stunde bei absoluter Windstille kann es wohl nicht geben auf der Welt. Außer vielleicht: Basstölpel bei absoluter Windstille zu Helgolands Blauer Stunde.
Warum wir mal wieder einen Kurztrip nach Helgoland machen müssen
Als wir das letzte Mal auf Helgoland waren, gab es noch die legendäre Disco Krebs. Die immerhin älteste Disco Deutschlands gehörte quasi zum Pflichtprogramm auf Helgland. Wie das Nachtleben aktuell aussieht, wissen wir nicht. Hinweise sind mehr als willkommen.
Robben Island
Hast Du schon mal einen Schreck vor lauter Glück bekommen? Das kann passieren, wenn Du Deinen ersten Morgenspaziergang auf Helgoland antrittst. Unser Zimmer liegt dem Meer abgewandt. Darum trete ich relativ nichtsahnend in den Morgen hinaus. Für einen Moment bleibt mir die Luft weg. Direkt gegenüber blinzelt die Sonne hinter der Düne hervor.
Ursprünglich war die Badeinsel mit der Hauptinsel verbunden. Doch in der Neujahrsnacht von 1721 riss eine Sturmflut die beiden entzwei. Die nötige Gewalt kann man sich an einem Morgen wie diesem nicht vorstellen.
- Wie Gott auf Helgoland
Friedlich und spiegelglatt liegt die Nordsee vor uns. Selbst die Möwen machen ausnahmsweise keinen Rabatz. Kneife ich die Augen zusammen, erkenne ich Robben auf herausragenden Steinen; gar nicht weit von uns entfernt. Und wenn mir jetzt einer erzählen würde, dass Gott morgens am Südstrand von Helgoland Bernstein sammelt, ich würde es glauben.
A-a-am superweißen Strand von Helgoland: Robben über Robben über Robben
An einem wolkenlosen, windstillem Tag wie diesem, muss man einfach auf die Düne. Halbstündig setzt von der Promenade eine kleine Fähre über. Hat man schon auf der Hauptinsel das Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben, gilt das für die Düne erst recht.
Hier, wo alles so aussieht, als hätte die Dharma Initiative eine Dependance errichtet, stört nicht einmal der Flughafen. Dass der die Insel zerschneidet, habe ich mir ganz schrecklich vorgestellt. Ist es aber nicht.
Der Airport auf Helgoland ist auf eine verlodderte Art sympathisch. Im Terassencafé warten die Piloten bei Pommes rot-weiß mit C-Wurst auf irgendwas. Das Aufregendste ist noch, dass sie ihre eigene Mayonnaise mitgebracht haben (warum?), die sie im Kühlschrank des Schnellrestaurants verwahren dürfen.
Viel mehr passiert nicht. Man gerät geradezu in Trance. Die Möwen auf der Landebahn heben nicht einmal die Köpfe, als dann doch noch eine Maschine an ihnen vorbeirumpelt.
Die Düne ist Deutschlands Robbenparadies
Völlig gelassen bleibt auch Helgolands Prominenz, die uns gleich am Ende der Landebahn erwartet. Wobei erwarten nicht ganz den Kern der Sache trifft. Ehrlich gesagt, kümmern sie sich nicht einmal um uns. Es ist eher so, dass sie uns huldvoll tolerieren. Robben über Robben über Robben. Zu Hunderten sonnen sie sich an den Stränden und lassen sich durch nichts und niemanden aus ihrer Ruhe bringen.
Das ist so schwer fassbar, dass man eine ganze Weile braucht, um es wirklich zu glauben. Irgendwann geht einem aber auf, dass hier wilde Raubtiere mit Menschen friedlich koexistieren. Und dann könnte man schon wieder jubeln vor Glück. Macht man aber nicht. Weil man die Robben nicht stören will.
Stattdessen setzt man sich in den warmen Sand und staunt. Ganz still.
Tipp: Wer Helgoland wirklich kennen lernen möchte, sollte eine Übernachtung einplanen. Wer Robben wirklich kennen lernen möchte, nimmt sich ein Ferienhäuschen auf der Düne.
Schiffsverkehr: Mit dem Halunderjet nach Helgoland
Die Anreise von Hamburg nach Helgoland dauert. Man könnte zwar auch nach Helgoland fliegen. Das ist nicht mal teuer und sehr viel schneller. Aber irgendwie gilt das nicht. Immerhin ist Helgoland das Piratenschätzchen unter den Nordseeinseln, das Schmugglernest. Und das will man doch nicht als s-tinkige Landratte betreten. Das muss man sich doch mit einer ehrlichen Seereise erarbeiten.
Perfekte Anreise nach Helgoland: der Halunder-Jet
Die Prise Unsicherheit, ob die Leinen denn auch losgemacht werden, gehört einfach dazu. Gestern war der Schiffsverkehr zu Deutschlands einziger Hochseeinsel eingestellt. Stürmische Böen in der Deutschen Bucht. Das hört man ja so oft im Radio, aber wenn man am Tag drauf selbst hinaus will auf die wilde See, kriegt es noch einmal eine andere Bedeutung. Und noch hat sich der Wind nicht gelegt.
Ein bisschen weniger stürmisch als gestern kommt es mir zwar vor, als wir unsere Koffer an den Hafen rollen. Aber Hamburg liegt ja auch nicht wirklich (sondern nur gefühlt) am Meer. Ob wir heute fahren, entscheidet der Kapitän um 08.30 Uhr. Hätten wir vielleicht doch besser eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen.
08.30 Uhr an den Landungsbrücken 3/4: Unser Gepäck wird an Bord des Halunder-Jets gehievt. Es geht also los.
08.55 Uhr auf dem hinteren Deck: Der Kapitän informiert per Lautsprecher über die Wetterlage insoweit, dass er den zu Seekrankheit neigenden Passagieren empfiehlt, kostenfrei auf einen anderen Tag umzubuchen. Es sei mit ordentlich Seegang zu rechnen.
Hohoho. Allgemeines Gelächter. Was denn? Wieso denn? Aussteigen? Also bitte! Kommt ja gar nicht in die Tüte. Doch einigen steht schon die Frage ins Gesicht geschrieben, ob man wirklich in der Position ist, über Tüten zu lachen? Dazu sind bestimmte Tüten viel zu prominent an den (sehr luxuriösen) Sitzplätzen ausgelegt.
Die Pegelturmuhr schlägt 09.00 Uhr: Ahoi!
09.15 Uhr kurz hinter Oevelgönne: Ich dachte ja, wir fahren schon schnell. Aber erst jetzt lässt der Halunder-Jet lässt seine 10.000 Pferdestärken probehalber ein bisschen spielen.
Achtung Aktualisierung: seit 2018 düst der neue Halunder-Jet nach Helgoland. Er ist noch schneller, noch komfortabler und hat auch noch mehr Platz auf den Außendecks.
09. 20 Uhr vor Blankenese: Genau der richtige Ort um zu erwähnen, dass der Halunder-Jet nicht ganz billig ist. € 83,75 kosten unsere Tickets. Pro Person. Dafür kriegt man allerdings auch etwas geboten. Allein die 2,5 Stunden bis Cuxhaven sind schon der Hammer und nee, ach, was ist sie doch groß geworden unsere Elbe.
11.20 Uhr kurz vor der Nordsee: In der Pantry kann man nun eine Reisetablette für 50 Cent erwerben. Guter Service.
Für die Passagiere, die in Cuxhaven zusteigen, ist es leider zu spät. Bis zur offenen Nordsee sind es nur noch ein paar Minuten. Zu kurz für die Wirkungszeit der Tablette. Als wir an Neuwerk vorbeischippern, denk ich noch: Naja, sooo heftig sind die Wellen ja nun auch wieder nicht.
Im nächsten Moment müssen wir alle das Außendeck verlassen und unsere Plätze einnehmen. Gleich hinter Scharhörn gehts nämlich los. Zum einen schlagen die Wogen 2,50 hoch und der Jet beginnt zu tanzen wie der berühmte Sektkorken. Und zum anderen greifen viele, viele Kinder wie auf Kommando nach den Spucktüten. Man muss sich in der folgenden Stunde schon sehr konzentrieren, um daran nicht zu verzweifeln. Nicht jedem Erwachsenen gelingt das.
Ach, Helgoland, keine deutsche Insel wird vermutlich von ihren Besuchern so sehnlichst erwartet wie Du!
Und dass Du Dich so gar nicht verändert hast, seit ich Dich das letzte Mal sah. Mehr als 30 Jahre ist das her. Aber Deine Promenade sieht ja noch immer so aus, als würden Nadja Tiller und Walter Giller gleich Hand in Hand um die Ecke spazieren.
Heute vor exakt 67 Jahre wurde Helgoland durch den sogenannten Big Bang, die größte nicht-atomare Sprengung aller Zeiten, beinahe vernichtet. Ein guter Teil des Oberlandes wurde weggerissen und damit zum Mittelland. Der Leuchtturm überstand als einziges Gebäude die Explosion. Ansonsten überlebten nur einige Bunker- und Militäranlagen der Nazis. Dabei waren sie der Grund für die Sprengung.
Aus dem Trümmerhaufen entstand nach Rückgabe der Insel eine 50er-Jahre-Stadt. Die schlichten Häuschen stehen mittlerweile unter Denkmalschutz. Dem Zeitgeist sei Dank gefällt mir das. Bei meinem letzten Besuch fand ich´s noch über die Maßen scheußlich.
Sowieso beeindruckte mich als Kind am stärksten der Fahrstuhl, der vom Unterland ins Oberland schwebt. Für 60 Cent kann man sich die 184 Treppenstufen sparen. Die Fahrstuhlführerin hat sich ein faszinierend winziges Büro in einer Ecke der ohnehin kleinen Kabine eingerichtet.
Ich würde gern wissen, ob ihre Vorgängerin mal bei Robert Lemke eingeladen war. Passen würde es.
Oben angekommen werden wir beinahe weggeblasen. Im Unterland haben wir ganz entspannt draußen gegessen, doch hier oben ist es mega-stürmisch. Volko hat Schwierigkeiten das Foto-Telefon gerade zu halten. Zumal er seine Handschuhe im Hotel gelassen hat, weil er sie „auf gar keinen Fall“ brauchen würde. Nun werden seine Finger in Sekunden zu Eiszapfen. Ich hingegen, ernte neidische Blicke aufgrund meines Polar-Outfits. (Bester Tipp für Helgoland: eine richtig fette Jacke mitnehmen).
Whatever the weather: Oberland rund ist natürlich Pflicht. Erst wenn man den 2,8 km langen Panoramaweg abgelaufen ist, schnallt mans so richtig: Man befindet sich wirklich mitten im offenen Meer. Kein Land am Horizont. Nirgends.
Skurrilerweise gehört Helgoland zu Pinneberg und hat (im Gegensatz zu Pinneberg) einen Pinneberg. Von seinem Gipfel – 63 m über dem Meer – hat man ganz Helgoland im Blick.
Allmählich leert sich die Insel. Die Schnaps- und Zigarettenjäger müssen gegen 16.00 Uhr zurück auf ihre Schiffe. Wir freuen uns wie Kinder. Denn jetzt wird es ruhig . Jetzt fängt Helgolands Zauber erst an zu wirken. Davon dann morgen mehr.
1.822 Schritte bis Helgoland
Heute morgen ging ich die 1.822 Schritte, die zwischen meiner Haustür und Helgoland liegen. Das Licht war federgrau und die Luft ganz sanft. Manche behaupten, wir hätten am Wochenende eine Stunde durch die Zeitumstellung verloren. Mir ist, als hätte ich eine geschenkt bekommen. Weiterlesen
Hamburg: Das Tor zur Nähe
Es gibt ja unheimlich viele Leute, die nicht in Hamburg wohnen. Allein in Deutschland erstaunliche 83,3 Mio. Von solchen höre ich oft: „Hamburg finde ich auch total schön. Wenn nur das Wetter besser wäre.“