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Zur Paartherapie nach Tondern

Tondern (dän. Tønder) sieht so aus, als würde Pipi Langstrumpf jeden Moment um die Ecke hüpfen, ist aber das Las Vegas Dänemarks. Nicht im Hinblick auf Glücksspiele. Sondern weil die süddänische Kleinstadt als Heiratsparadies gilt. (Wobei Heiraten natürlich auch eine Art Glücksspiel ist).

 

StreetsofTondern

 

Während man anderswo in Papierkram versinkt, geht in Tondern alles ganz unbürokratisch. Man mailt die Unterlagen ans Standesamt, zahlt 70 Euro und die Sache ist geritzt. Termine gibts zeitnah; bei Bedarf inkl. Trauzeugen.

 

Tondern

 

Heiraten ist ein Wirtschaftsfaktor im strukturschwachen Süddänemark. Friseure, Brautausstatter, Gastronomen, Blumenläden Fotografen usw usf. Die Stadt scheint voll auf die 2.000 Paare eingestellt, die sich jährlich in Tondern vermählen. Bis vor kurzem mussten Heiratswillige mindestens 3 Tage in Tondern verbringen. Seit die EU die Bestimmung kippte,  ist Sand ins Getriebe geraten. Das spüren auch Maria und Jens Peter Jensen von Marias Feriestedt.

 

 

Die Übernachtungszahlen gehen zwar zurück. Doch dafür können die Jensen seit einiger Zeit die ersten Silberhochzeitspaare begrüßen. Das sind die, von denen Maria Jensen noch Hochzeitsfotos besitzt. Erst nach ein paar Hundert Paaren habe ich aufgehört zu sammeln, erzählt Maria.

Unter den Gästen sind auch viele Wiederholungstäter. Einer war gerade zum vierten Mal da, sagt Jensen.  Aber ich glaube, das wird wieder nichts. Er hat im letzten Vierteljahrhundert ein Gespür dafür entwickelt, was ernst ist, was gut ist und was vermutlich scheitert.

 

 

Die treusten Gäste der Jensens sind die Besucher des Tønder Festival. Unter ihnen: viele silberhaarige Paare.

Es ist ein Erwachsenen-Festival, sagt Jens Peter Jennsen. Viele Dänen und Deutsche, aber auch andere Skandinavier, Briten, Iren, Kanadier, US-Amerikaner. Sie kommen seit zehn, zwanzig Jahren. Manche waren schon in den 70ern dabei.

Und so weht – immer in der letzten Augustwoche – ein Hauch von Love & Peace durch die engen Gassen von Tondern, wenn das größte Folkfestival-Europas an den Start geht.

Anderer Geruch, aber auch romantisch: In der  Alten Apotheke duftet es nach Tannengrün und Zimt. Das Einrichtungshaus am Marktplatz verkauft von Januar bis Oktober den Skandinavien-Schnick-Schnack, dem die meisten Frauen verfallen sind. In den Kellergewölben jedoch bekommmt man einen kleinen (im Sinn von: dem größten, den ich je sah) Vorgeschmack auf das Weihnachtsparadies, in das sich Det Gamle Apotek zum Jahresende verwandelt.

 

 

Tondern ist Dänemarks Weihnachtshauptstadt. Anfang November wird das Juleby (Weihnachtsdorf) traditionell von mehr als 60 Weihnachtsmännern, Orchestern, Chören und Wichtelumzügen eröffnet. Die Weihnachtsbeleuchtung soll die schönste in Dänemark sein.

Die schönste Dorfstraße Dänemarks liegt draußen vor der Stadt in Møgeltonder.

 

Moegeltonder am Morgen

 

Moegeltonder am Abend

Moegeltonder am Abend

 

Møgeltonder liegt mitten in der Marsch, versteckt hinter uralten Bäumen. Tagsüber kommt ab und zu mal ein Touristenbus. Denn am Ende der schönsten Dorfstraße Dänemarks liegt ein Schloß.

 

 

Schloß Schackenborg ist unbewohnt, seit Prinz Joachim letztes Jahr nach Kopenhagen zog. (Die Dänen hat das nicht gefreut. Immerhin hatte sie es ihm zur Hochzeit geschenkt.) Ab und zu gibt es Führungen. Daher die Touristenbusse.

 

 

Morgens und abends ist Møgeltonder aber nicht von Schaulustigen bevölkert. Es ist eher so überhaupt nichts los. Was ich perfekt zum Übernachten finde. Beispielsweise im Schackenborg Slotskro.

 

schackenborgslotkrog

 

Die  Zimmer – und jetzt kommen wir endlich mal zum Sinn dieses Beitrags – werden unter der Überschrift Paartherapie & Romantik angepriesen. Was genau damit gemeint ist, weiß ich nicht. Aber das hat sich bestimmt ein gut bezahlter Werber ausgedacht. Und ich dachte, ich probiere mal, ob´s zieht.

 

Slotskrog

Der breiteste Strand Nordeuropas

Rømø. Insel, auf die ich nie scharf war. Nicht mal als Jugendliche. Obwohl damals quasi alle zum Feiern auf Dänemarks südlichste Nordseeinsel gefahren sind. Bzw.: gerade deshalb. Der Ballermann der Westküste, hab ich gedacht. Schlimmer kann nur noch Løkken sein. Autostrand. Furchtbar. Und dass in den letzten Jahren mehr und mehr Massenunterkünfte (Reihenhäuser!) rund um Havneby entstanden sind, hat mich nun auch nicht gerade neugierig auf Rømø gemacht.

Rømø ist für mich nie so richtig Dänemark gewesen. Eine Transit-Insel bloß. So gut wie jeden Winter rattern wir über den beinahe 10 km langen Damm, dem Rømødæmningen, durchs Wattenmeer (der zugegeben wahnsinnig schön ist), um im Hafen die Fähre nach Sylt zu nehmen.

Aber heute ist alles anders. Heute ist Sommer. Heute ist der Damm nicht leer. Heute kommen uns Kolonnen von Porsches entgegen. Sylturlauber. Aber dazu gehören wir heute nicht. Wir fahren nach Rømø. Heute biegen wir nicht an der ersten (einzigen) Kreuzung links zum Hafen ab. Sondern steuern geradeaus. Mitten ins Auge des Touristen-Taifuns. An den Strand von Lakolk.

Und sind vom ersten Augenblick: hingerissen!

 

Drache

 

Der Strand von Lakolk

 

Ja, Lakolk besteht aus einem Campingplatz und einem Einkaufzentrum. Ja, hier ist richtig Trubel. Und ja, am Strand fahren ungefähr so viele Autos wie auf einer Autobahn. Aber diese Autobahn ist 4 km breit. Nicht lang. Sondern breit. Das ist gigantisch. Das muss man erst mal in den Kopf kriegen.

 

Autostrand

 

Falls das Burning Man Festival mal einen neuen Austragungsort sucht: bitte sehr, hier wäre es richtig. Strand, Strand, Strand. Man braucht eine Weile, um sich zu orientieren. Der  Wasserlinie darf man sich auf 30 m nähern. Das tun die meisten. Linker Hand sieht es in der Ferne so aus, als wäre dort Schluß mit Straßenverkehr. Gleich bei den Dünen beginnt eine Ruhezone.

 

Lakolk

 

Dort ist es ist wie fast überall am Meer: Sobald man ein paar Meter gehen muss, gehen die Massen nicht mit. Und ohne unsere persönliche Durchnittsreisen-Challenge, wären wir ebenfalls nicht hier. Was hätten wir verpasst!

 

FataMorgana

 

Der Strand zieht sich über die gesamte Westseite Rømøs. Beinahe 20 km. Längst nicht überall sind Autos erlaubt. Und nicht einmal überall dort, wo Autos erlaubt sind, ist viel los. Genau genommen konzentrieren sich die Autos in Lakolk und am Sønderstrand.

 

Strandspaziergang

 

Dazwischen ist Platz. Unendlich viel Platz für mein Schönstes auf der Welt: Am Meeressaum spazierengehen. Volko kuschelt sich in die Dünen (sein Schönstes auf der Welt). Und ich laufe los.

 

Stand Roem

 

Flach ist die Nordsee bei ablandigem Wind. Kristallklar. Warm. Und ich kann nicht glauben, kann einfach nicht glauben, wie schön es ist. Je weiter ich gehe, desto einsamer wird es. Bald sind kaum noch Spaziergänger unterwegs. Ab und zu traben Reiter auf kräftigen Pferden an mir vorbei. Hin und wieder kommt mir ein Radfahrer entgegen. Ich wate auf Sandbänken. Tauche ins Wasser. Lasse mich von der Sonne trocknen. Einmal werde ich von einer Robbe beobachtet. Sie schwimmt eine zeitlang neben mir her. Im sicheren Abstand von ungefähr 30 Metern, versteht sich. Einmal trete ich fast auf einen Stein. Der einzige, den ich in 2 Stunden sehe. Und der gar kein Stein ist. Sondern ein ziemlich großer Krebs, der wieselflink Reißaus nimmt.

 

Nordsee

 

Baden in der Nordsee

 

unendlicheweite

 

Strand Lakolk

 

FKK Roem

 

Derweil findet Volko in den Dünen keine Ruhe. Es ist seltsam. Von Amts- und Respektspersonen wird Volko gern für einen mindestens linksradikalen Terroristen gehalten. Kinder aber zieht er an wie ein Magnet. Wo ist denn Deine Freundin? Wie heißt denn Deine Freundin? Wann kommt sie wieder? Welche Farbe hat Steffis Rucksack? Wo wohnt ihr? Und weißt Du, Volko, was der nackte Mann dahinten gesagt hat? Usw. Usf. Als ich vollkommen entspannt zurückkomme, ist Volko vollkommen erschöpft. Und umringt von neuen, äußerst wissbegierigen Freunden zwischen 4 und 11.

 

DuenenLakolk

 

Rømø ist ein Kinderparadies. Das bringt natürlich ein bisschen Tam-Tam und Lärm mit sich. Und ist gleichzeitg eine superschöne Sache. Eine besondere Stimmung. Tipp für ruhebedürftige Eltern: Nie haben wir so müde und stille kleine Gestalten gesehen, wie die, die gerade eine Wattwanderung hinter sich haben.

In den 80ern hätte man mit dem Auto immer an der Wasserlinie vom Strand in Lakolk zum Sønderstrand fahren können. Mittlerweile haben Naturschutz und die Natur selbst dafür gesorgt, dass es nicht mehr geht. Es sind einfach zu viele Dünen am Strand entstanden. Aus Sylter Sand. Was dort abbricht, wird hier angespült.

 

Heide

 

Und so muss man inzwischen einen wunderbaren Umweg über das Inselinneren machen. Die kleine Straße führt durch die Dünenheide. Und da stehen sie doch noch – die typisch hyggeligen alten Ferienhäuser. Das mit den Massenunterkünften beginnt erst kurz vor Havneby.

 

Havneby

 

Havneby ist mit knapp 300 Einwohnern, die Hauptstadt der Insel. Sie hat sich in den letzten Jahren ziemlich verändert. Durch Einkaufsmeile, Golfplatz, Wellnesscenter und weitere schreckliche Dinge mehr. Nur da, wo hart gearbeitet wird, im Fischereihafen, ist alles richtig schön schrabbelig. Doch wer weiß, wie lange man noch bei Otto & Ani Fisk essen kann. Gerade wird über eine Anglegemöglichkeit für Kreuzfahrtschiffe nachgedacht. Ich nehmen an, das wird den Mini-Hafen massiv verändern.

Von Havneby ist es nur ein Katzensprung zum zweiten großen Strandzugang, dem

 

Sønderstrand

 

Mit seinen (gewaltigen, gewaltigen) Sandbänken gefällt er unser noch besser als Lakolk. Zumal er etwas Besonderes für uns bereit hält.

 

Jeep

 

Es ist nachmittags um vier, als sich die Welt aufeinmal verdüstert. Die Luft bleibt warm. Es ist nicht einmal windig. Dennoch bezieht sich der Himmel rasend schnell. Da liegt ein Knistern in der Luft. Alles kommt einem auf einmal ganz wesentlich vor.

 

Soenderstrand

 

In solchen Momenten kann alles passieren. Und man denkt, es wäre wohl schlauer, zum (Kilometer weit entfernten) Auto zu laufen. Aber andererseits zieht es einen ans Wasser. Nur für den Fall, dass Hattifnatten am Horizont auftauchen.

 

Donnerwetter

 

Aber Hattifnaten sind da nicht am Horizont. Das ist nur unser Lieblingsplatz auf der Welt: der Sylter Ellenbogen. Fast zum Greifen nah. Und genauso menschenleer wie wir ihn von unseren Winterspaziergängen kennen. Denn da drüben tobt ein Unwetter. Während wir irgendwie noch immer in der Sonne stehen.

 

Soenderstrand

 

Krass. Abgefahren. Unwirklich. Ein echtes Himmelsgeschenk. Und kurz darauf schon wieder vorbei. Als wäre nie was gewesen. Auch drüben auf Sylt. Wenn ich das nächste Mal um den Ellenbogen wandere, werde ich wissen, wie es auf der anderen Seite aussieht. Der Gedanke gefällt mir.

 

 
Und was mir auch richtig gut gefällt, ist Rømø. Das ist nämlich eine ganz wunderbare Insel.

 

Danebrog

Grenzenlos gut: die deutsch-dänische Marsch

„Hilf mir doch mal“, bittet der rüstige Rasenmähermann im blauen Arbeitskombi und deutet auf die schwere Tisch-Bank-Kombination vor dem kleinen Grenzhäuschen. Es steht zwischen dem Rickelsbüller Koog (Deutschland) und dem Margrethen Kog (Dänemark).

Den Rasenmähermann haben wir angesprochen, weil uns nicht klar war, ob wir wirklich, wirklich quer durch das Naturschutzgebiet fahren dürfen. Für uns sieht es eher so aus, als hätte ein Ranger das Tor versehentlich offen gelassen.

 

Rickelsbüller Koog (Deutschland)

Rickelsbüller Koog (Deutschland)

 

„Leute wir ihr fragen das oft“, lacht der Rasenmäher, der sich jetzt als ehemaliger Bürgermeister der nächstgelegenen dänischen Gemeinde zu erkennen gibt. Was er mit „Leute wie ihr“ meint, lässt er offen. Aber seine Erlaubnis zur Weiterfahrt erhalten wir.

Doch erst muss das unhandliche Tisch-Bank-Teil weg, damit der Rasen am kleinen Grenzhäuschen ordentlich gemäht werden kann. Der deutsche und der dänische. Da macht unser Bürgermeister keine Unterschiede. Wie auch überhaupt kaum Unterschiede auszumachen sind in der Marsch von Nordschleswig (Dänemark) und Südtondern (Deutschland).

 

Margrethe Kog (Dänemark)

Margrethe Kog (Dänemark)

 

Wer hier unterwegs ist, wechselt ständig von einem Land ins andere, ohne es zu bemerken. Mit ihrer wechselhaften Geschichte ist die Region ein Paradebeispiel für die Beliebigkeit von Grenzen. Mal war die Gegend dänisch, mal deutsch. Die letzte Grenzziehung erfolgte aufgrund eines Referendums in den 1920er Jahren.

 

Dazwischen die Grenze

Dazwischen die Grenze

 

Während sich Kopenhagen und Berlin nach dem 2ten Weltkrieg eher zögerlich annäherten, waren die Menschen an der Grenze schnell wieder beieinander. Man hat immerhin Vorfahren auf der „anderen“ Seite, Familie oder Freunde. Und wirtschaftlich hat es auch noch nie Sinn gemacht, auf die Politik zu warten. Kopenhagen und Berlin sind weit, weit weg.

 

Die grüne Grenze

Die grüne Grenze

 

Zu seiner Zeit, erzählt uns der Bürgermeister, sei das Grenzhäuschen noch bemannt gewesen. „Stellt Euch mal vor, da saß einer den ganzen Tag rum.“ Er lacht. „Das waren ganz andere Zeiten. Wir mussten uns damals mindestens 36 Stunden in Deutschland aufhalten, um 6 Bier einführen zu dürfen. Heute dürfen wir 10 Liter Alkohol pro Tag und Person kaufen.“

 

Der nördlichste Punkt des deutschen Festlandes

Der nördlichste Punkt des deutschen Festlandes

 

Ein paar Kilometer östlich in Aventoft bekommt man leicht den Eindruck, dass die Dänen sich ins Zeug legen, um die tägliche Menge auszuschöpfen. Das deutsche Minidorf besteht aus Friesenhäuschen und 5 dänischen Supermärkten (einen deutschen Laden gibt es nicht). Angeboten wird das volle Sortiment dänischer Waren, ausgepreist in dänischen Kronen. Aber besteuert mit deutschen Sätzen: 7% auf Lebensmittel statt 25%. Lohnt sich natürlich. Das Personal spricht genauso selbstverständlich dänisch wie die Dänen beinahe alle perfekt deutsch sprechen.

 

Das Grenzland ist schwer im Kommen. Man siehts an den aufghübschten Ferienhäuschen.

Das Grenzland ist schwer im Kommen. Man siehts an den aufghübschten Ferienhäuschen.

 

(Persönliche Beobachtung: Die Dänen sprechen ein Deutsch wie es in meiner schleswig-holsteinischen Heimat gesprochen wird. In Hamburg aber nicht. Mitgefühl etwa wird mit den Worten „Das ist Sünde ist das“ ausgedrückt. Interpunktion unbekannt. Wortwahl und Satzbau findet man so nur nördlich von Kiel.)

 

Die Vida wird fälschlicherweise oft als Grenzfluss bezeichnet

Die Vida wird fälschlicherweise oft als Grenzfluss bezeichnet

 

Über Jahrhunderte haben Dänen, Deutsche und Friesen am Wattenmeer miteinander gelebt. Das Land ist ihr gemeinsames. Sie haben es des Nordsee abgetrotzt. Die ehemalige Halligenlandschaft über Jahrhunderte immer wieder eingedeicht. So sind die typischen Kooge entstanden. Wo früher Wasser war, ist heute fruchtbares Land. Für die Entwässerung sorgen Schöpfwerke, Kanäle, Schleusen.

 

Die Marsch. Unendliche Salzwiesen.

Die Marsch. Unendliche Salzwiesen.

 

Der größte gemeinsame Nenner ist die Natur. Sie braucht den dänischen Schutz genau wie den deutschen. In den Koogen wird sie bewusst in Ruhe gelassen. In der Kernzone darf niemand über den Deich. Außer die Tiere. Unendlich viele Vogelarten rasten hier auf ihren Zügen. Viele überwintern auch. So ist die Population im Januar sogar größer als im Juni. Denn die Vögel finden in den Koogen etwas, das selten geworden ist: Vollkommene Ruhe.

 

Die Grenze dient heute nur noch als Schutz für die Tiere

Die Grenze dient heute nur noch als Schutz für die Tiere

 

Die Hauptsaison der Marsch ist der Herbst. Dann tanzen die Stare in gewaltigen Schwärmen über den Himmel. Bis zu 250.000 Vögel agieren dabei wie ein einziger Organismus.  „Sort Sol“ (schwarze Sonne) wird das Naturschauspiel genannt. Wo und wann die Stare auftauchen, ist nicht zu sagen. Eine fachkundige Führung erhöht die Wahrscheinlichkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

 

Nicht schlecht: Hochsommer ohne Touristen

Nicht schlecht: Hochsommer ohne Touristen

 

Abgesehen davon zieht es nicht viele Touristen an den deutsch-dänischen Deich. Zu groß ist die Strahlkraft der vorgelagerten Inseln Sylt und Rømø mit ihren unendlichen Stränden. Man hat sie vom Festland aus die gesamte Zeit im Blick. Sieht die Fähre von List nach Havneby ziehen.

 

Kaum zu glauben: Auf der anderen Seite des Wattenmeers liegt Kampen.

Kaum zu glauben: Auf der anderen Seite des Wattenmeers liegt Kampen.

 

Ich habe selbst schon etliche Male von Sylt nach Dänemark geschaut und gedacht, dass mich so ungefähr gar nichts rüberzieht. Mir kam das Festland aus der Ferne ganz trostlos vor. Aber auf Sylt bin ich immer nur im Herbst und Winter. Jetzt – im Hochsommer – wünsche ich mich nicht auf die Insel. Jetzt bin ich lieber hier.

 

Das Wattenmeer ist einzigartig auf der Welt

Das Wattenmeer ist einzigartig auf der Welt

 

Jetzt genieße ich die Abgeschiedenheit des Festlandes. Die Landschaft ist von unaufgeregter Schönheit. Still. Es ist eine Gegend zum Denken. Die kleinen Küstengemeinden mit den prunkvollen Kirchen sind typisch dänsich. Gleichzeitig stößt man immer wieder auf Zeugnisse einer deutschen Vergangenheit. Inschriften auf Grabsteinen, an Häuserfassaden oder in Kirchen. Natürlich haben sich mit den Jahren auch Unterschiede herausgeprägt.

 

So sieht es bei Ebbe gegenüber von List aus

So sieht es bei Ebbe gegenüber von List aus

 

Es gibt Dinge, die uns leicht vorkommen – den Dänen aber unmöglich erscheinen. Beispielsweise: Vernünftige Dosenöffner herstellen.

Früher gehörten zu einem Dänemark-Urlaub Schnittverletzungen durch das kleine, sinnlose Metallding, das man in jedem Ferienhaus vorfindet, dazu.

Mittlerweile haben die Dänen allerdings Fähigkeiten entwickelt, die Deutschen unmöglich erscheinen. Nämlich: Ein vernünftiges WLAN-Netz bereitstellen.

So kann man heute jederzeit im Übungsvideo lernen, wie das denn nun eigentlich funktioniert mit dem dänischen Dosenöffner. Das nenne ich einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung.

 

Wind auf den Wegen

Wind auf den Wegen

 

So ist das eben. Irgendwas kann ja jeder. Und irgendwas kann jeder nicht. Wir zum Beispiel können uns keine schönere Himmelsrichtung vorstellen als den Norden. Und seine grenzenlose Weite.

Der Norden für Durchschnittsreisende

12,1 Tage und € 1.076,90. Und zwar inklusive Taschengeld. Das sind die jährlichen Ressourcen des deutschen Durchschnittsreisenden laut Tourismusanalyse der Stiftung Zukunftsfragen. Seit ich das weiß, hat sich für mich das berühmte halbleere Glas Wasser in ein randvolles verwandelt. Vorher hatte ich ein unbestimmtes Gefühl, viel zu wenig zu reisen. Inzwischen aber ist mir klar:

 

 

  1. Wer sich eine 2-Wochen-Reise pro Jahr gönnen kann und/oder mehr als 1.000 Euro pro Jahr fürs Reisen ausgibt, hat es überdurchschnittlich gut.

 

  1. Durchschnittsreisen haben nichts mit mittelmäßigen Urlauben zu tun. Ganz im Gegenteil.

 

 

Mit 89 Euro pro Person kann man sich teure Restaurants, Shoppingeskapaden oder High-End-Hotels natürlich abschminken. Stattdessen darf sich der Durchschnittsreisende auf das Beste konzentrieren. Als da wären: Land & Leute. Das geht auch im Norden. Obwohl der ja tendenziell etwas teurer ist, als all-inkl-Pauschalreisen in den Süden.

 

Ich weiß das deshalb so genau, weil wir in diesem Jahr mal ganz bewusst ausprobiert haben, was man mit 12,1 Tagen und € 1.076,90 denn so anstellen kann.

 

Nach 3 Tagen in Malmø und 5 Tagen im nordenglischen Lake District verjuxen wir gerade den Rest unseres Budgets in Dänemark.

 

Duenen

 

Gestern bin ich Stunden an einem Megastrand spazieren gegangen. Ich habe in der glasklaren Nordsee gebadet. Ich wäre fast auf einen Riesenkrebs getreten und habe Robben gesehen. Wir haben windgeschützt in den Dünen gelegen. Haben die Dünenheide in voller Blüte erlebt.

 

Duenenheide

 

Wir haben auf einem zuckersüßen Marktplatz ein Willkommens-Øl getrunken. Und danach kauften wir unsere Lieblingsdinge in einem dänischen Supermarkt. Wir haben unsere Liegestühle nach der Abendsonne ausgerichtet und uns fast bis zum Sonnenuntergang von den Geschichten unseres Vermieters verzaubern lassen.

 

August

 

Und die Sache ist die: Selbst wenn ich alles Geld der Welt hätte, wäre das noch immer mein perfekter Tag. (Mag allerdings sein, dass ich einen schickeren Bikini getragen hätte. Aber irgendwas ist ja immer).

In diesem Sinne; Hej, hej nach Deutschland! Und kommt gut in die Woche.

 

unendlicheweite

 

PS.: Was würdest Du im Norden mit 12,1 Tagen und € 1.076,90 anstellen?

Büdelsdorf Calling

Was findet jeden Sommer im Herzen Schleswig-Holsteins statt, zieht 80.000 Besucher an und ist nicht Wacken?

Logisch, die NordArt im Kunstwerk Carlshütte.

Sie ist eine der größten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Europa. Und findet in einem wunderbaren Industriedenkmal statt. In Büdelsdorf. Das liegt bei Rendsburg. Also etwa in der Mitte des Nord-Ostsee-Kanals.

Was wir in unserem näheren Umfeld beobachten: Wer erst einmal nach Büddelsdorf gefunden hat, will immer wieder hin.

 

Das Kunstwerk Carlshütte

 

Die Eisengießerei Carlshütte war das erste Industriezentrum Schleswig-Holsteins. Seit ihrer Stillegung Ende der 90er Jahre ist sie Austragungsstätte für Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Theater- und Filmaufführungen.

Für die NordArt werden ehemalige Werkshallen und ein weitläufiger Park mit historischen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden genutzt. Das sind gewaltige, gewaltige Ausstellungsflächen. Geheime Gänge. Abseitige Gelasse. Sonderbare Treppen, die vielleicht irgendwohin führen. Vielleicht auch nicht. Ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene.

 

 

Ich selbst habe relativ spät Interesse für Kunstausstellungen entwickelt. Lange schien mir das anstrengend. Als würde irgendein Zensor beurteilen, ob ich auch wirklich alles ansehe, durchlese, würdige – selbst wenn es mich gar nicht berührt. Erst seit ich mir erlaube, Spaß zu haben, kann ich Ausstellungen genießen. Und wer sich das noch nicht erlaubt hat, wird von der NordArt quasi zur Freude gezwungen.

 

Das Vergnügen enormer Ausstellungen

 

Mehr als 100.000 qm Ausstellungsfläche lassen dem Besucher keine andere Wahl. Er muss sich vom Lustprinzip leiten lassen. Rein zeitlich schon. Sein eigenes Tempo finden. Dort eintauchen, wo es einem spannend scheint. Das weglassen, was einen nicht so anspricht. Anders geht es aufgrund der Menge an Kunstwerken gar nicht.

Dieses Jahr hatten es uns vor allem die Maler und Fotografen angetan. Wobei die Grenzen dabei ja immer mehr verschwimmen.

 

 

Als eine, die eher vom Wort beeinflusst ist als vom Visuellen, freue ich mich immer über gelungene Titel.

Der polnische Künstler Tomasz Pachzweski hat für sein Bild einen rein deskriptiven Titel gewählt. Dennoch gibt er dem Gemälde eine spezielle Tiefe.

Finde ich. Und bräuchte einen Roman, um alle meine Gedanken dazu auszuführen. Es haut mich um, wie Maler in der Lage sind, Komplexes auf den Punkt zu bringen.

 

Zwei Maenner

Zwei Männer eine Öffnung in der Mauer betrachtend

 

Auf andere Art großartig ist der Titel meines zweiten Lieblingswerks. Erst stand ich eine ganze Weile davor und war einfach nur berührt von seiner Schönheit.

 

MutterundKind

 

Als ich dann endlich näher trat, um den Titel zu lesen, öffnete sich mir eine komplett andere Perspektive.  Es heißt: „Mutter und Kind“. Und als ich das wusste, musste ich noch einmal genau so lange davor stehen. Ihr findet das Bild im mongolischen Pavillon.

 

Länderfokus Mongolei

 

Jedes Jahr nimmt die NordArt ein Land besonders ins Visier. Dieses Jahr die Mongolei. 34 mongolische Künstler zeigen ihre Heimat diesseits und jenseits der Jurtenromantik. Und mir, dass ich voller Vorurteile bin (auch wenn ich das grundsätzlich weit von mir weisen würde). Sich einem Land über seine Künstler zu nähern, ist jedenfalls eine sehr gute Möglichkeit, Klischees abzulegen.

 

Schwerpunkt Mongolei

Dorjderem Davaz: 10 Jahre alte Braut

 

Die Ausstellung in der Ausstellung: Bizarreland

 

Als besonderes Bonbon empfanden wir die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer, chinesischer Fotografie. Bei meiner Auswahl handelt sich übrigens um unterschiedliche Fotografen. Auch wenn sie (fast) alle Zhang heißen.

 

 

Wir kauften zwei JA

 

Die Frage, ob man sich denn nun aufraffen sollte, um die NordArt zu besuchen, haben wir schon gleich beim Eintritt beantwortet. Da schreitet man durch zwei Wasserbecken, die zur allgemeinen Abstimmung aufforden. Zum Mitmachen können Steine erworben und beschriftet werden. Weiß steht für JA und kommt ins große Becken. Schwarz für NEIN ins kleine.

 

In der Naehe bleiben

 

Man muss allerdings erwähnen, dass ein NEIN fünf Euro kostet. Ein JA kriegt man hingegen schon für einen Euro.

Die NordArt kostet übrigens € 12,–. Sie ist es wert. Und läuft noch bis zum 4. Oktober 2015.

 

Jenseits des Priwalls eine andere Welt: an der Mündung der Trave

Man muss sich das mal vorstellen (also, man muss sich das wirklich mal vorstellen), dass hier der Eiserne Vorhang begann. KM 0 der deutsch-deutschen Teilung. An einem Ostseestrand auf einer Halbinsel wurde das Land zerrissen, Europa getrennt, die Welt in Ost und West gespalten. Das muss man sich mal vorstellen!

Es will mir aber schwer in den Kopf, wie wir da so mit dem Fähre über die Trave schippern. Auf der Liste der bizarren Orte ist der Priwall einer der Absurdesten. Weiterlesen

Der Moment ist das Ziel: Gartenrouten Schleswig-Holstein

Als wir neulich aufs Land gefahren sind, war das Wetter nicht berauschend. Da man gewisse Dinge bekanntlich nicht ändern kann sondern nur die eigene Einstellung zu den Dingen, erklärten wir den Regen zum Konzept und nahmen die Sache quite british. Ausgerüstet mit Gummistiefeln, Regenschirm und Wachs-Jacke. (Jedenfalls ich).

Der Weg zu unserem Landhotel verlief nämlich für einige Kilometer auf einer „Gartenroute zwischen den Meeren“. Und Blumengucken ist ja etwas sehr, sehr Englisches.

 

Venusberg

 

Die Gartenrouten zwischen den Meeren

 

Auf zehn regionaltypischen Routen stellt die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein die Gartenkultur zwischen Nord- und Ostsee vor. Sie tragen so nette Namen wie „Flanieren und Philosophieren in lieblicher Seenlandschaft“ oder „Aus blauer Blüte grüne Kunst.“

Die Gartenroute Nummer 4 verläuft durch den Kreis Pinneberg. 105 km lang und als Fahrradroute konzipiert erzählt sie „Von Baumschulbaronen und Pflanzenjägern“.

Pinneberg ist eben nicht nur der Kreis, dessen Nummerschild nicht genannt werden darf. Sondern auch Europas größtes zusammenhängendes Baumschulgebiet.

Wir hatten uns zwei Stationen ausgeguckt, die auch mit dem Auto angefahren werden können.  Die erste erreichten wir etwa 20 Minuten nach unserer Abreise in Hamburg:

Das Arboretum in Ellerhoop

 

insGruene

 

„Endlich mal jemand aus Hamburg“, rief die Dame im Kassenhäuschen, nachdem wir unsere Postleitzahl genannt hatten.

Sie hätte auch rufen können: „Endlich mal überhaupt jemand.“

Denn das Aboretum in Ellerhop war nicht gerade überlaufen.

Und auch wir waren mit der Vorstellung gekommen, uns ein bisschen bemühen zu müssen, um der Sache etwas abzugewinnen. Wir sind keine Gärtner. Also, ehrlich gesagt, haben wir nicht einmal Zimmerpflanzen.

Auf den ersten hundert Metern fühlten wir uns dann auch wie im Park ums Eck. (Der allerdings nicht 9 Euro Eintritt kostet). Wir sagten unprofessionelle Dinge wie „oh, wie hübsch“ oder „ah, wie interessant“.

Und dann passierte etwas.

 

Lotusteich

 

Das war, als wir nicht mehr zwanghaft zusammenliefen. Sondern jeder so seiner Wege ging. Wie bei einem Mandala, das man von außen nach innen ausmalt, kamen wir – das kann man gar nicht anders sagen – zu unserem Mittelpunkt. Also runter. Und zwar schlagartig. Dabei waren wir eben noch auf St. Pauli gewesen.

 

 

Es hat etwas unglaublich Beruhigendes, sich auf das vermeintlich Unspektakuläre zu konzentrieren. Die kleinen Dinge haben ihre ganz eigene Sensation.

„Ich würde gerne irgend etwas anbieten, um Dir zu helfen, aber im Zen haben wir überhaupt nichts.“ (Ikkyū Sōjun, Zen-Meister)

 

Arboretum Ellerhop

 

Das Aboretum Ellerhoop ist voller Geräusche, so leise, dass man sie im Alltag überhört. Getränkt von Duftschleiern. Flüchtigen Erinnerungen. Besonderen Augenblicken im allerwörtlichsten Sinn.

 

Spiegelung

 

Und so schlenderten wir weiter: Roter Garten. Blauer Garten. Bauerngarten. Duftgarten. Bambusgarten. Blindengarten. Gewaltiger (gewaltiger) Hortensiengarten. Rosengarten. Gelber Garten. Japanischer Garten. Weißer Garten. Und zu Volkos allergrößter Freude gibt es im Aboretum sogar einen NDR-Fernsehgarten. Er machte allerdings gerade Sommerpause.

 

Japanischer Garten

 

Aber eine Busladung NDR-Fernsehgarten-Zielpublikum ist dann doch noch gekommen. Kurz bevor wir den Ausgang wieder erreichten.

In welchem Affenzahn sie in kleinen Grüppchen und auf bequemen Sohlen durch die Anlage fegten!

 

NDR-Fernsehgarten

 

Wofür wir 2 Stunden gebraucht hatten, erledigten sie in einem Achtel der Zeit. Denn sie wollten möglichst schnell ins Café, wie wir aufschnappten.

Vielleicht hatten sie schon bessere Gärten gesehen?! Vielleicht ist das Aboretum in Ellerhoop für Connaisseure nichts Besonderes?!

Ich habe da keine Vergleichsmöglichkeiten und kann nur sagen: Uns hat es richtig gut gefallen. Und gut getan.

 

Ellerhoop

 

Das Café übrigens ist das Einzige, was wir im Aboretum Ellerhoop nicht so toll fanden. Es ist dunkel und ausgestattet mit diesen massiven, grüngepolsterten Holzstühlen, wie man sie in Kirchengemeinden und Tagesbegegnungstätten vermutet.

Und sowieso waren wir ja englisch unterwegs. Wollen also keinen Kaffee sondern Tea.

Und den gibt es stilecht nur ein paar Kilometer und unendliche Rosenfelder weiter nördlich.

 

Rosenfeld

 

Das Schlossgefängnis in Barmstedt

 

Das Schlossgefängnis von Barmstedt befindet sich auf der kleinen Schlossinsel im Rantzauer See. Gegründet auf den Resten einer mittelalterlichen Befestigungsanalge stammt das heutige Gebäudeensemble aus dem 19. Jahrhundert und steht komplett unter Denkmalschutz.

 

 

Das Café Schlossgefängnis liegt gleich hinter der kleinen, alten Brücke. Die Kunst des Afternoon-Tea hat die Betreiberin aus ihrer vorherigen Wirkungsstätte, dem Dorchester in London, mitgebracht.

Für 19,50 gibts zum Tee das volle Pipapo: Scones, Marmelade, Clotted Cream, Törtchen, Gurken- und Lachssandwiches. Also in etwa das, was ein sehr, sehr, sehr hungriger Mensch als Hauptmahlzeit verspeisen könnte.

Der Kirsch-Mandel-Schoko-Kuchen und die Schwedische Mandeltorte sind aber auch nicht schlecht. Wer will, kann übrigens in einer Zelle essen. Oder draußen am Wasser. Das Schlossgefängnis gehört zu den absurd wenigen Cafés in Schleswig-Holstein, deren Außenplätze mit einem Sonnensegel vor Regen geschützt sind. Sehr gute Sache das.

 

 

Fürs Gewissen (oder zum Vergnügen) bietet sich anschließend ein Spaziergang um den See an. Länger als 20 Minuten dauert der allerdings nicht.

 

Rantzauer See

 

Falls alle Stationen auf den Gartenrouten so zeitintensiv sind, wie die beiden, die wir gesehen haben, bräuchte man für die Route Nummer 4 wohl gut grei Tage.

Für eine Übernachtung wäre man nach dem Besuch der Schlossinsel gut in der Bokel-Mühle aufgeboben. Aber das sagte ich ja schon.

Als Tagesausflug könnte man es natürlich auch andersherum angehen. Mit einem Brunch in der Bokel-Mühle beginnen und sich dann rückwärts treiben lassen.

Treiben lassen. Toller Begriff, finde ich.

 

Blick aus der Suite

Bokel Muehle am See

Schwanenparadies Schönhagen

Man sagt, die Dinge werden kleiner, wenn man selber größer (älter) wird. Von der Steilküste in Schönhagen kann ich das aber nicht behaupten. Wir haben da Montag einen irrwitzig schönen Spaziergang unternommen. Und alles war viel gewaltiger als in meiner Erinnerung.

Schönhagen liegt in Schwansen; im Dreieck zwischen Damp, Sieseby und Olpenitz. Kurz vorm Ortseingang befindet sich rechter Hand ein kleiner Parkplatz mit Ostseeblick. (Damit ist klar: Badesachen nicht vergessen).

 

NSG Schwansener See

 

Vom Parkplatz führt eine Straße in das Naturschutzgebiet. Sie ist Teil des Ostseeküstenradwegs und so gut wie autofrei (höchstens dass einmal am Tag ein Trecker oder Pferdetransporter auftaucht).

 

Ostseeblick

 

Das Besondere: Man hat von Anfang an nicht nur das Meer vor Augen sondern auch den Schwansener See. Er liegt etwa 2 km vom Parkplatz entfernt.

 

Kornblumen

 

Und das sind 2 ganz wunderbare Kilometer. Besonders jetzt. Die Natur ist gerade so dermaßen verschwenderisch (was vermutlich am ewigen Regen liegt, der uns alle so genervt hat.)

 

Bullen

 

Es kommt eben auf die Perspektive an. Oder wie man hier in der Gegend sagt: Wat den Eenen sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall.

 

Schwansensee

 

Der Schwansener See ist a) eine ehemalige Ostseebucht, die sich durch Sandablagerungen vom Meer getrennt hat. Und b) Ein Schwanenparadies. Gar kein Zweifel.

 

Schuechterner Schwan

Schüchterner Schwan

 

Formation

Schwanformation. Der Flügelschlag ist weithin hörbar.

 

Kampf

Mit Bullen kämpfender Schwan

 

Patrouille

Schwäne im Gänsemarsch (Schwäne SIND übrigens Gänse. Aber wahrscheinlich wusste das außer mir eh jeder.).

 

Schwanentanz

Schwäne auf Ostseewellen tanzend

 

Den Strand darf man auf Höhe des Schwansener Sees größtenteils nicht betreten (jedenfalls nicht zwischen April und September). Ist aber auch nicht weiter tragisch. Weil erstens eh ein Steinstrand. Und zweitens ist Baden in Steilküstennähe auch nicht ganz ungefährlich.

 

Wanderweg Schoenhagen

 

Sieht gar nicht so steil aus, die Steilküste von Schönhagen. Aber irgendwie geht es wohl doch sanft hinauf. Das merkt man spätestens beim Blick zurück. Links Ostsee, rechts Schwansener See – von hier kann man deutlich den Nehrungscharakter erkennen.

 

Wanderweg Steilufer Schoenhagen

 

Wolkenlose Augusttage sind ohnehin ein Kracher. Kommt ein kühler Ostseewind dazu, umso besser. Und wenn dann auch noch der Duft von tausend Gräsern und Blumen und Kräutern in der Luft liegt, dann ist alles perfekt.

 

 

Da hier ja ab und zu mal die Frage nach Radwegen auftaucht: Ja, man kann auf dem Trampelpfad fahren. Aber nicht so super, glaub ich. Jedenfalls rumpelten die Radfahrer ganz schön dahin. Und riesenhafte Diesteln an kurzbehosten Beinen sind wohl auch nicht Jedermanns Sache.

 

Damp

Die Perspektive täuscht: die Betonburgen von Damp (2000) sind noch gut 4 km entfernt

 

Ansonsten sind uns übrigens erstaunlich wenig Menschen begegnet. Trotz maximaler Feriendichte in Deutschland.

 

Tor im Knick

Typisch für Schwansen: Tür im Knick

 

Dass viele Schleswig-Holstein-Urlauber bei schlechtem Wetter nicht gern spazieren, wußte ich. Aber dass sie auch bei gutem Wetter nicht gern spazieren, fand ich überraschend.

 

Endlich mal Leute: Sonst bekäme man ja gar kein Gefühl für das Größenverhältnis

Endlich mal Leute: Sonst bekäme man ja gar kein Gefühl für das Größenverhältnis

 

Erst als wir uns Schönhagen auf etwa 1 km genähert hatten, kamen uns dann doch noch ein paar Spaziergänger entgegen.

 

Baeume

Frei nach Rilke: Der Sommer ist groß

 

Sie liefen aber größtenteils nur bis zur dramatischsten Stelle, um ein paar Bilder zu knipsen.

 

Steilkueste

 

In Schönhagen selbst war dann alles wie in den letzten 40 Jahren auch. D.h. viele Kinder & viele Pommes.

 

Flagge Schoenhagen

Das nenne ich ein passendes Wappen: Der Schwan von Schönhagen

 

Wer´s ruhiger mag, lässt die Promenade hinter sich und läuft drei, vier Strandaufgänge Richtung Weidefeld. Da ist der Strand nämlich so, wie ein Strand sein soll. Nicht so überlaufen, feinsandig und die Wellen haben Wumms.

 

 

Und ein stehts fest: Wenn man eine kleine Wanderung hinter sich hat, ist es auf einmal gar nicht mehr so langweilig, am Strand herumzuliegen. Selbst mir nicht.

Und zwischen den Meeren liegt eine Mühle am See

Wir sind aufs Land gefahren. Nicht an die Ostsee oder Nordsee – wie man das ja meistens tut, wenn man zwei Meere in Reichweite hat. Sondern aufs Land.

Wir sind nicht aufs Land gefahren, um zu wandern. Oder eine Radtour zu unternehmen. Oder etwas anderes Zielgerichtetes zu tun. Wir sind einfach nur aufs Land gefahren. Um auf´s Land zu fahren. Und das war herrlich.

45 km nordwestlich von St. Pauli liegt Bokel. Ein Dorf, in dem man schon nach einer Viertelstunde jeden Storch kennt. Ich meine das wörtlich. Denn die drei Störche (auf den drei nebeneinanderliegenden Wiesen) stolzierten am ersten Tag genauso durch das Gras wie auch am zweiten und am dritten.

 

Storch

 

An der einzigen Kreuzung von Bokel zeigt ein Wegweiser zum „Naherholungsgebiet“. Ich fand das irgendwie witzig. Denn man kann in einem Radius von mindestens 10 km überhaupt nichts anderes machen, als sich zu erholen.

Allerdings ist es so, dass man sich im Naherholungsgebiet Bokel besonders gut erholen kann.

Denn dort gibt es etwas, von dem ich dachte, dass es soetwas überhaupt nicht mehr gibt: Die Bokel-Mühle am See.

 

Sepiafarben

Die Welt wird sepiafarben beim ersten Blick auf die Bokel-Mühle

 

Seit 1880 befindet sich das Hotel und Ausflugslokal in Familienbesitz. Der Pavillon ist gerade 100 Jahre alt geworden. Und wenn ich richtig mitgerechnet habe, wirkt mit den Erichs derzeit die vierte und fünfte Generation in der Bokel-Mühle.

 

100 Jahre Pavillon am See

 

Als jemand, der beruflich häufig in Hotels übernachten muss (interessant, ich schrieb „muss“), denke ich öfter über Gastlichkeit noch. Ich schrieb auch schon mal an anderer Stelle darüber. Gastlichkeit kann man nicht lernen oder verordnen.

Gastgeberqualitäten hat man oder hat man eben nicht. Und in der Bokel-Mühle hat man. Alle. Vom Empfang, zum Service, zum Koch.

„Bleiben Sie beim Wein von gestern?“ „Möchten Sie den Kaffee wieder draußen trinken?“ „Wie war Ihr Tag?“ „Natürlich können Sie sich ein Boot schnappen.“ „Vielleicht ziehen Sie besser festere Schuhe an, wenn Sie um den See gehen wollen?!“

Das sind so Sätze, die den Unterschied machen. Dass man wahrgenommen wird als Gast. Wir wurden dermaßen umsorgt (special thanx to Kathrin), dass wir schnell nicht nur das Gefühl hatten, auf´s Land gereist zu sein. Sondern auf den Landsitz einer weit, weit verzweigten Familie. Oder in ein Stück von Agatha Christie.

 

Welcome

 

Und ich wäre auch nicht verwundert gewesen, wenn Hercule Poirot meine Überlegungen geteilt hätte:

Was haben die amerikanischen Geschäftsleute ständig so laut zu besprechen? Sind die silberhaarigen Dänen wirklich Blumentouristen und die deutschen Radtouristen lediglich auf der Durchreise?  Warum schläft das hübsche, junge Paar  in getrennten Zimmern? Wer ist der alleinreisende Herr, der ständig irgendwo anders sitzt und Zeitung liest? Und ist es denn nicht sehr, sehr verdächtig, wenn eine Familie aus der Gegend das Weihnachtsmenue besprechen möchte?! Im Juli?!

Wirklich, auf dem Land interessiert man sich viel mehr für seine Mitmenschen als in der Stadt.

 

 

Vor Jahren und Jahren und Jahren habe ich mal etwas getan, was den lieben Herrn Erich junior gefreut hat (gar nichts Dolles; eine Kleinigkeit nur). Jedenfalls durften wir darum nun im allerneusten Schmuckstück residieren.

Obwohl die Loft-Zimmer und Suiten mit Blick auf den See noch nicht in der normalen Vermietung sind. Sie sind so frisch aufgemöbelt, dass hier und da noch ein paar winzige Details fehlen.

Darum kann man sie auch noch nicht auf der Homepage finden. Doch wer sich interessiert, schreibt einfach an presse(at)bokelmuehle.de.

 

 

Diese wunderbaren Zimmer sind für Menschen, die es zu schätzen wissen, wenn ein uraltes Fernglas auf dem Schreibtisch bereit liegt. Damit man über den See blicken kann. Und überhaupt der See.

 

Abendstimmung

 

Man kann um ihn herumspazieren. Man kann ihn mit dem Ruderboot erkunden. Oder bei der kleinen Badestelle hineinspringen (der Seegrund ist sandig).

 

 

Und man kann natürlich auch einfach nur an seinem Ufer sitzen. Dem Plätschern des Wassers lauschen. Dem Wind, der in den uralten Bäumen rauscht. Und darauf warten, dass sich der Hunger meldet.

 

 

Dann spaziert man hinüber zum Kaminzimmer, wo der alleinstehende Herr schon wieder auf dem Sofa sitzt und seine Zeitung liest. Ganz wie in Paris sind die Amerikaner heute etwas weniger mittig platziert. So können alle anderen Gäste ihre Gespräche in gewohnt europäisch-gedämpften Ton führen.

 

Menue

 

Das Sommer-Menue, bei dem die Anreise aus Hamburg schon inkludiert scheint, hat uns hervorragend geschmeckt. (Wie Vieles auf der Speisekarte, das wir ebenfalls getestet haben. Landluft macht ja sehr hungrig.)

 

 

Unterm Strich weiß ich nicht, wie das mit Männern so ist. Aber für Frauen glaube ich verallgemeinernd sagen zu dürfen: Man kann sie schwer beeindrucken mit einer Landpartie zu einem romantischen Hotel an einem zauberhaften See mit einhundertjährigem Pavillon. (Dies nur als Wink mit dem Zaunpfahl für männliche Leser.)

 

Hochzeitszimmer Bokel-Muehle

 

Wir bedanken uns herzlich bei Allen aus der Bokel-Mühle, die unseren Ausflug aufs Land zu etwas Herrlichem gemacht haben. Es war wie in einer anderen Welt. Und dabei ganz in der Naehe.

 

Kontakt

Bokel-Mühle am See
Neel-Greve-Straße 2
25364 Bokel / nördlich Elmshorn

Tel. 04127 94 20 0
Fax 04127 94 20150

Homepage: www.bokelmuehle.de

 

Aufs Land

 

PS.: Man kann übrigens ein paar ziemlich nette Sachen in der Gegend um Bokel unternehmen.

Zum Beispiel sich im Kreis Pinneberg auf die Spuren von Baumschulbaronen und Pflanzenjägern begeben. Unbedingt empfehlenswert ist dabei ein Abstecher zur Liethter Kalkgrube.

Oder macht macht sich quer durch den Kreis Steinburg über Wacken an den Nord-Ostsee-Kanal auf.

Auch nicht weit weg ist die Elbe; am schnellsten ist man von Bokel aus in Glückstadt.

 

Von der Kunst des Spazierens auf der Halbinsel Holnis

Heute reicht es bei mir zeitlich nur für einen kleinen Spaziergang zwischendurch. Er führt auf die Halbinsel Holnis, die sich 20 Kilometer nördlich von Flensburg lang und schmal in die Förde streckt. So wird ein Rundweg möglich, der meistenteils am Strand entlangläuft. Dabei nähert man sich der dänischen Küste auf 1.700 Meter. Man glaubt, nach Broager rüberspucken zu können.

Um die Spitze von Holnis führt der „Theodor-Fontane-Wanderweg“; Fontane war in der Gegend als Kriegsberichterstatter unterwegs und erwähnt Holnis in seinem Roman „Unwiederbringlich“.

 

Steilkueste Holnis

 

Man muss dem Theodor-Fontane-Weg aber nicht in seiner gesamten Länge folgen. Das Naturschutzgebiet Holnis ist von Wegen und Trampelpfaden durchzogen, so dass man den Spaziergang seinen Möglichkeiten anpassen kann. Denn das ist ja – neben vielen anderen Vorteilen – das Gute am Spazieren: Man bestimmt Anfang und Ende und das Dazwischen selbst.

Und auch wenn man sich manchmal aufraffen muss, klopft man sich hinterher meistens auf die Schulter. Oder ist zumindest zufrieden. Jedenfalls sagt selten mal jemand: „Ich bereue, dass ich heute einen Spaziergang gemacht habe.“ Und schon der Philosoph Michel de Montaigne wusste: „Mein Geist geht nicht voran, wenn ihn nicht meine Beine in Bewegung setzen.“

 

Holnis

 

Die Kunst des Spazierens

 

Strand Holnis

 

In einigen Ländern gilt Spazieren als Zeitverschwendung. In anderen quasi als Kulturgut. In Deutschland etwa reicht die Tradition des Spazierens bis ins 18. Jahrhundert zurück. Das Bildungsbürgertum ahmte damit zunächst den Adel und dessen Promenieren in Lustgärten nach, begann dann aber bald selbst die Natur zu genießen, wahrzunehmen – und das spiegelte sich in der Kunst wieder.

Der passionierte Wanderer und Dichter Johann Gottfried Seume formulierte in seinem Spaziergang nach Syrakus : „Wer geht, sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt.“

 

Butterblumen

 

Kosmisch sehen“ ist ja auch so eine Formulierung über die man lange nachdenken kann. Was beim Spazieren bestens funktioniert. Ich habe leider nie den Bogen rausgekriegt, wie man meditiert. Selbst nicht als ich mal in einem Ashram in Indien war. Doch vielleicht ist Spazieren eine europäische Variante?!

 

Galloways Holnis

 

Ich funktioniere da wie Pawlows Hund. Sobald ich gehe, gehen auch meine Gedanken. Im Gegensatz zum Rumsitzen, bei dem ich eher zum Grübeln neige. Besser sagt es der Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau: „Im Wandern liegt etwas meine Gedanken Anfeuerndes und Belebendes, mein Körper muss in Bewegung sein, wenn es mein Geist sein soll.“

 

Spaziergänger befinden sich in guter Gesellschaft

 

Für viele große Künstler stellt das Zu-Fuß-Gehen ein wichtiges Ritual dar. Friedrich Nietzsche etwa galt als ausdauernder Spaziergänger. Ludwig van Beethoven pflegte immer nach dem Mittagessen einen längeren Spaziergang zu unternehmen, zu dem er auch Papier und Stift mitnahm. Charles Dickens wanderte am Nachmittag regelmäßig bis zu drei Stunden an der frischen Luft. Sören Kierkegaard kehrte von seinen Spaziergängen derart beseelt zurück, dass er sich gleich mit Hut, Spazierstock und Regenschirm an den Schreibtisch setzte und los schrieb.

 

NSG Holnis

 

Nebenbei bemerkt finde ich Spazieren im Nieselregen besser als in Gluthitze. So gesehen ist der Sommer 2015 bisher ein hervorragender Sommer. Ist eben immer alles eine Sache der Perspektive. Und zum Perspektivwechsel eignet sich kaum etwas so gut wie ein Spaziergang.

Na, denn man to: Wegbeschreibungen

 

Ziegelei Holnis