Von Borkum hatte ich nicht viel mehr erwartet als endlöse Strände und Dünen, wurde aber mit einer kleinen Schockverliebtheit beschenkt. Es geschah im Nieselregen beim ersten Strandspaziergang. Wir waren am Vorabend im Dunklen auf der Insel angekommen. Ich hatte zwar noch versucht, die Nordsee zu begrüßen, war aber nur auf nachtschwarze Dünen gestoßen. So sah ich die Promenade von Borkum zum ersten Mal zur bürgerlichen Morgendämmerung (die wirklich so heißt und die halbe Stunde bezeichnet, bevor die Sonne sich über den Horizont schiebt, was ich vor allem deshalb erwähne, weil bürgerliche Dämmerung so schön zur großbürgerlichen Anmutung der Insel Borkum passt.) Weiterlesen
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Sylt bei Regen oder der Weststrand für BWLer
Was man auf Sylt bei Regen macht? Logisch: man sucht sich ein kuscheliges Plätzchen und liest. Einen sehr dicken Roman. „Stundenlang lesen“ ist ja ohnehin etwas, worauf man sich einstellt, wenn man nach Sylt fährt. Regen gehört zu einem Nordseeurlaub dazu. Und ja, man freut sich sogar darauf.
Doch so einfach ist das gar nicht in Norddeutschland. Schon gar nicht auf den Inseln. Am allerwenigsten auf Sylt.
Spätestens wenn das Teewasser den Siedepunkt erreicht, pustet der Wind nämlich eine Himmelsecke frei. Urplötzlich taucht ein Sonnenstrahl den Lesesessel in goldenes Licht. Und auf einmal scheint es gar nicht mehr so verlockend, sein Lied hinter dem Ofen zu singen…
Sylt bei Regen (soll ich´s wirklich machen oder lass ich´s lieber sein?)
Syltkenner wissen: dies ist nicht der Zeitpunkt für eine ausführliche Kosten-Nutzen-Analyse. Möglicherweise bricht in eben diesem Moment die beste Stunde des Tages an, vielleicht der gesamten Urlaubswoche und wer will das schon verpassen? Also, schnell das Outfit des Grauens geschnappt und ab an den nächsten Strand.
Wenn es sich dabei um den Weststrand von List handelt – sagen wir mal den Zugang bei der Strandsauna – ist Dein Risikomanagement eigentlich schon im Eimer. Merke: Der Weg durch die Dünen ist immer länger als vermutet. Bis Du das Meer siehst, hat sich der Himmel längst wieder zugezogen. Du weißt: Falls er seine Schleusen öffnet, wirst Du auf keinen Fall ungeschoren davon kommen.
Maximales Regenrisiko am Weststrand
Aber was meinst Du eigentlich mit „falls“? Inzwischen liegt auf der Hand, dass der Weltuntergang kurz bevor steht. Vielleicht bin ich ja schneller als Sturm und Wolken, denkst Du. Bis zum nächsten Heißgetränk (in der Weststrandhalle) sind es gerade mal 3 km. Das könnte zu schaffen sein. Du stiefelst los. Sylt bei Regen – für Dich kein Problem. Du findest es sogar ganz herrlich. Weil das Bedrohliche auf gewisse Weise auch zu und zu schön ist.
Das Bedrohliche ist sogar so faszinierend, dass Dir der absolute Anfängerfehler unterläuft. Der Anfängerfehler über den Du immer lachst, wenn andere ihn begehen. Aber heute passiert es Dir selbst: Du hast die Welle unterschätzt! Eine Ladung Salzwasser schwappt in Deine Gummistiefel. Ziemlich mieses Gefühl das.
Es folgt: Der Moment, in dem es zu regnen beginnt. Ein Schauer nur, hoffst Du. Und immerhin hast Du Rückenwind. Regentropfen von hinten sind besser als von vorn. Du hältst den Blick stur geradeaus. Umkehren kommt sowieso nicht in Frage. Weshalb auch? Du bist schließlich nicht aus Zucker.
Point of no return: Zwischen Strandsauna und Weststrandhalle
Aber wasserresistent bist Du eben auch nicht. Das wird Dir klar, als Du doch mal einen Blick zurück wagst und verstehst: Es kommt etwas Gewaltiges auf Dich zu. Da ist Deine Hose rückwärtig bereits platternass und Deine Oberschenkel sind zu Eis gefroren. Es passiert – das ist ein kosmisches Gesetz – etwa auf halber Strecke. Vor oder zurück ist nun egal.
Es ist eine Sache von Sekunden. Der Regen verwandelt sich in einen Wolkenbruch, Deine Jacke in etwas Funktionsloses und jetzt gibst Du´s endlich vor Dir und der Welt zu: Du hast Dich ganz gehörig verkalkuliert. Der nächste Strandzugang ist Deiner. Du galoppierst den ewig langen Dünenweg zurück Ellenbogenstraße, schneller als Du es je für möglich gehalten hättest.
Ganz kurz vorm break-even point
Und da stehst Du nun in einem kleinen Unterstand am Parkplatz. Jedenfalls im Trockenen. Allerdings vollkommen durchnässt. Der Regen – ein weiteres kosmisches Gesetz – stoppt etwa 1 Minute später.
Aber frieren tust Du eigentlich nicht. Dafür bist Du wohl zu schnell gelaufen. Der schlimmste Moment, fällt Dir wieder ein, ist immer der, bevor man vollkommen durchweicht. Das hattest Du schon in Kindertagen gelernt – Du hattest es nur vergessen. Genau wie das wunderbare Gefühl danach.
Da niemand außer Dir so unklug war, während des Unwetters rauszugehen, kann jetzt auch niemand außer Dir erleben, wie der Wind die Wolken fortjagt. Am Strand gibt es nur Dich und die Sonne und wenn Du Schwein hast einen Schweinswal, denn der Sylter Weststrand gehört zum ersten Wal-Schutzgebiet Europas. Ganz schön viele Dinge, die glücklich machen.
Return on Invest: Aufwärmen bei Königs
Von der Aussichtsplattform auf dem Ellenbogenberg, beobachtest Du, wie die ersten Gäste vor die Tür der Weststrandhalle treten. Die armen Leute, denst Du. Sie haben das Beste verpasst. Und dann machst Du Dich selbst auf zu Königs, um die vielleicht leckerste heiße Schokolade Deines Lebens zu trinken. Du hast sie Dir redlich genug verdient.
Mehr Tipps für Sylt bei Regen
Falls Dich das Konzept vom Rausgehen bei Regen nicht überzeugt, schau doch mal bei Genussbummlerin Ina vorbei. Den ersten 3 ihrer Schietwedder-Empfehlungen schließe ich mich absolut an.
PS.: Regelmässige LeserInnen könnten annehmen, dass wir gerade auf Sylt sind. Sind wir aber nicht. Vielmehr bereite ich mich gerade auf eine andere Nordseeinsel vor. Das Barometer steht auf Regen. Insofern: Alles wird gut!
Blogbilanz: In der Naehe bleiben 2016
Früher war es ein typisches Vorhaben für die Zeit „zwischen den Jahren“: Fotos sortieren. Umgesetzt habe ich das allerdings selten. Ich besitze Schachteln über Schachteln mit Bildern und Negativen und Disketten und CDs sowie jede Menge Dateien auf drei Laptops. Wie praktisch ein Blog dagegen ist. Ein Klick und ich sehe: 2016 sind wir auf 14 Kurztrips in der Naehe geblieben. 3 mal weiter weg gewesen. Und haben jede Menge Tagesausflüge unternommen.
- Januar auf Sylt
- Abends auf Sylt
Das ist erstaunlich, schon rein quantitativ, weil wir früher gar nicht besonders häufig ins Blaue gefahren sind. Ganze Sommer vergingen, ohne dass wir es auch nur einmal an die Ostsee schafften. Inzwischen scheint mir das undenkbar. Der Blog hat doch tatsächlich unser Leben verändert – genau wie wir unsere Einstellung zum Bloggen. Es ist uns selbstverständlich geworden. Ich habe nicht mehr das Gefühl, es erklären oder rechtfertigen zu müssen. Will sagen, ich fürchte nicht mehr, man könne glauben ich hätte keinen Friseur, dem ich das alles erzählen kann. Ich blogge einfach. Ganz selbstverständlich.
Wir bloggen. Selbstverständlich.
2016 war unser drittes Bloggerjahr. Nie hätte ich gedacht, dass Norddeutschland dafür groß genug ist. Doch tatsächlich ist Norddeutschland sogar viel, viel größer. Noch immer ist die Liste der Orte, die wir gern sehen würden, länger als die Liste der Orte, die wir bereits besucht haben.
- Boltenhagen
- Februar
- Meck-Pomm
Dabei ist unser Radius im vergangenen Jahr sogar noch kleiner geworden als in den zwei Jahren zuvor. Wir haben es 2016 nur 1 X in den Osten (Mecklenburg-Vorpommern) geschafft und 1 X in den Süden (Niedersachsen). Wir waren gar nicht in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg; obwohl uns in den beiden Bundesländern einiges interessiert und wir sie bei der Entstehung des Blogs durchaus im Blick hatten. Und doch sind wir fast nur in Schleswig-Holstein unterwegs.
Uns zieht es es nach Norden
Ehrlich gesagt, ist Mecklenburg-Vorpommern landschaftlich großartiger als Schleswig-Holstein und die Menschen sind in Niedersachsen viel freundlicher. Trotzdem zieht es uns immer wieder ins nördlichste Bundesland. Das muss wohl irgendwie Liebe sein.
- Hohwacht
- Flensburg im Maerz
- Groemitz im Maerz
Denn Schleswig-Holstein kann beinahe abweisend wirken. Ganze Landstriche drängen sich nicht auf. Die rufen nicht: Sieh. Mich. An. Manche Regionen sind so krass irgendwo zwischen den 50ern und 70ern hängengeblieben, dass man es nicht für möglich hält. Aber gerade das finden wir ungeheuer inspirierend.
Aber Werber werden wir nie
Unsere Vorliebe für Verschrobenheiten kann schwierig sein, wenn Kooperationspartner ins Spiel kommen. Das haben wir 2016 gemerkt. Wenn man zu bloggen beginnt, wagt man ja kaum zu glauben, dass man selbst irgendwann eingeladen wird (wie „richtige“ Blogger). Aber irgendwann passiert es. Bis dahin weiß man längst, dass die Destinationen wie in einem Landlust-Magazin präsentiert werden möchten. Manchmal passt das auch. Aber meistens ist das nur die Schokoladenseite. Und die interessiert uns gar nicht so. Also haben wir dieses Jahr manche Kooperation nicht angenommen. Wäre nicht fair gewesen. Und so werden wir das weiterhin halten.
- An einem Morgen
- im April
- in der Bokel-Muehle
Vielleicht haben wir deshalb auch kein Media-Kit auf dem Blog. Wir hatten uns immer vorgenommen, den Button einzurichten, wenn wir 10.000 Klicks im Monat überschreiten. Das geschah im Sommer. Steigerte aber auch nicht unsere Lust, den Blog zu professionalisieren (wie der Blogger es nennt, wenn er sich nach Social-Media-Gesetzen ausrichtet).
Erfolgreich gebloggt?
Im Grunde ist der Erfolg eines Blogs berechenbar. Man muss nur bei anderen gucken, wie´s geht. Ich staune, wie sich die Blogs entwickeln, denen ich folge. Manche sind über die Maßen beliebt in Sozialen Netzwerken. Andere finde enorm viele Fans in der Bloggerszene. Und es gibt auch welche, die steigern sich inhaltlich von Monat zu Monat bis die Beiträge funkeln wie Diamanten. Einige Maßnahmen (like for like, Werbung bei facebook oder die totale Suchmaschinenoptimierung) wurden dieses Jahr unter Bloggern sehr kritisch diskutiert; gelten als ein bisschen unfein (im Sinne von schleimerisch oder gefallsüchtig). Doch ich sehe das anders.
- Der Norden im Westen
- Mai in England
- Peak District
Egal für welche Form des Wachstums man sich als Blogger entscheidet – man muss es immer auch noch machen; also jede Menge Zeit investieren. Und zwar kontinuierlich. Das empfinde ich als eine Leistung. Insofern denke ich, a) dass jeder Blog seinen individuellen Erfolg verdient hat. Und b) die wichtigste Frage für einen Blogger lautet: Was bringt mir eigentlich Spaß? Nur wenn man richtig Lust hat, einen Kanal zu bespielen, lohnt sich die Chose.
Kleiner Blog und große Medien
Mir zum Beispiel bringt facebook gar keinen und pinterest nur wenig Spaß. Ich komme einfach nicht dahinter, was der Witz an der Sache sein soll. Mein Engagement ist im Laufe des Jahres aufs Minimalste geschrumpft. Volko hat vor einigen Wochen immerhin entdeckt, dass instgram ihn entspannt. Könnte gut sein, dass wir 2017 dort endlich stattfinden werden. Ist aber absolut kein Muss. Denn auch wenn unsere Reichweite nicht gerade der Hammer ist, haben uns die guten alten Printmedien gefunden. Ich fasse es nicht, fasse es nicht, fasse es nicht – aber es sieht so aus, als würden im kommenden Jahr gleich zwei Projekte anstehen, von denen ich nicht mal zu träumen gewagt hätte. (Mehr dazu hier, wenn mehr dazu erzählt werden darf.)
- Juni Nordstrand
- Juni Steinhuder Meer
- Juni Pellworm
Die größte blogthematische Überraschung war für mich dieses Jahr die Insel Pellworm. Herrlicher als ein Sonnentag auf Pellworm scheint mir wenig auf der Welt. Zumindest Hamburger, Schleswig-Holsteiner und Nordfriesland-Urlauber können das relativ spontan im Rahmen eines Tagesausflugs testen. Mein erster Tipp für 2017 wäre, auf einen klaren Tag im Mai oder Juni zu warten.
Das Beste am Norden sind Inseln
Überhaupt Inseln. Mir schwebte eine Weile vor, 2017 zu einem reinen Inseljahr zu machen, um dahinter zu kommen, warum sie mich so maximal beglücken. Das klappt nun nicht aus unterschiedlichen Gründen und ich muss mich darauf beschränken, was Goethe sagte: „Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von seinem Verhältnis zur Welt.“ Immerhin und mindestens zwei Mal werde ich im kommenden Jahr darüber nachdenken können. Gleich im Januar gehts los; meine zweite ostfriesische Insel steht auf dem Plan.
- Juli SPO
- Juli Malente
- Juli Lettland
Mit unseren Auslandreisen haben wir uns 2016 mal wieder als perfekte Durchschnittsreisende gezeigt. Die 12,6 Tage, die der Deutsche durchschnittlich verreist, haben wir schön auf die Himmelsrichtungen verteilt. Wir verbrachten drei Frühlingstage in England, eine gute Sommerwoche in Lettland, ein paar Stunden in Dänemark und unternahmen einen winterlichen Kurztrip nach Schweden. So waren wir also im Norden im Westen, im Norden im Osten und noch nördlicher. Perfekt!
Das Beste am Norden sind die Nachbarn
Als Freiberufler wissen wir selten im Voraus, wann und ob Urlaubsreisen in unsere Auftragslage passen. Aber träumen geht ja immer. Stand heute würde ich mich 2017 für 4 Tage Wales im Frühsommer, 6 Tage Norwegen im Spätsommer und 2,6 Tage Polen im Herbst entscheiden. Mal sehen, was wird.
- Deutschland
- Daenemark
Was 2016 garantiert nicht das Beste im Norden war, war das Wetter. Im August gab ich es auf, auf den Sommer zu warten. Woraufhin er im September eben doch noch kam. Für drei lange Wochen. In denen wir lästigerweise ziemlich viel arbeiten mussten.
Der Sommer 2016
Weil nicht viel Zeit war, sind wir im Sommer noch näher an Hamburg geblieben als üblich. Dabei entdeckten wir unsere zweite große Überraschung des Jahres: Grünstrände.
- Meldorfer Bucht
- im September
- Dithmarschen
Aus 1.000 Gründen finden die Leute Grünstrände nicht so gut. Soll uns mehr als Recht sein. Denn so haben wir mehr Platz für uns. Garantiert werden wir 2017 wieder direkt vom Deich in die Nordsee hüpfen. (Mein zweiter Tipp für unsere Leser wäre: probiert es mal (wieder)).
Das Beste am Bloggen sind die Leser
2016 ist mir sehr klar geworden, was ich mit dem Blog eigentlich will. Neben der Freude am Entdecken gehts mir um die Leser – also um Dich. Ich will Dir gar nicht erzählen, was wir machen. Ich möchte zeigen, was Du machen kannst. Manchmal vielleicht auch etwas wieder in Dein Gedächtnis rufen. Deswegen ist es uns auch so wichtig, immer hübsch bei der Wahrheit zu bleiben; selbst wenn sie trist ist.
- Kiel
- Oktober
- Strande
Mir ist schon klar, dass wir damit nicht jeden ansprechen. Menschen ticken eben unterschiedlich. Aber es gibt da so eine kleine, feine Zielgruppe, die gewisse Schnittmengen mit uns hat. Immer wieder spannend finde ich, wie die zu uns finden. Meistens läuft das bei uns über Google. Ich hab schon mal erzählt, dass ich das über den Blog rausfinden kann.
Unsere Lieblingssuchanfragen 2016
Manche sagen ihrer Suchmaschine total genau, was sie wissen wollen. Zum Beispiel tippte neulich jemand: „Ich möchte gerne wissen, ob es in Holstein einen Immenhof gibt“. (Die Antwortet lautet: ja, Gut Rothensande in Malente). Andere geben sich kryptisch. Etwa: „Moin… still ruht die Nordsee.“ Oder „Mit Frau Frie wohl auch ausgehen.“
- Wiederholungstat
- im November
- Sylt
Wieder andere landen vermutlich durch Schreibfehler bei uns. Jedenfalls glaube ich, dass der Mensch, der „gruselige Weisenhäuser“ suchte, Kinderheime meinte und nicht Weissenhäuser Strand, den wir als gruselstigen aller Strände beschrieben haben.
Was wir gern über Norddeutschland wüssten
Und dann sind da noch die Fragen, die ich selbst gern beantwortet hätte. Etwa:
Warum gibt es auf Sylt keine Katzen?
Fährt ein Zug von Wedel nach nirgendwo?
Sauerfleisch Westerhever?
Wir sind gespannt, ob einer hier mitliest, der die Antworten weiß. (Das mit dem Sauerfleisch interessiert mich ganz besonders.)
- Dezember
- Goeteborg
- Schweden
Und das ist jetzt die beste Gelegenheit, um uns für die zahlreichen und spannenden und ergänzenden Kommentare zu bedanken, die den Blog überhaupt erst zum Blog machen. Wir haben uns mal wieder über jede einzelne Wortmeldung riesig gefreut.
Auch bei den „stillen Lesern“ möchten wir uns bedanken. So viele Infos brettern fortwährend auf uns alle ein – da ist es echt eine Ehre, wenn jemand ausgerechnet bei uns Zeit verbringt.
Über-über-morgen trinken wir einen auf Euer Wohl.
Kommt gut raus und gut rein – wir lesen uns nächstes Jahr.
Ehrfürchtig hopsen: Weihnachten in Liseberg
Zu den unzähligen Vorzügen einer Kindheit in Göteborg gehört Liseberg, Schwedens ältester Vergnügungspark. Während für Kinder in Norddeutschland die Zeit spätestens ab dem Nikolaustag quälend langsam vergeht, verfliegt sie in Liseberg wie eine Schneeflocke im Wind. (Witzigerweise ist es für Erwachsene genau anders herum: In Norddeutschland rast der Dezember dahin; in Liseberg bleibt die Uhr stehen. Oder wird sogar zurückgedreht. Um ein paar Jahrzehnte.)
Jedenfalls fühle ich mich maximal 8 Jahre alt, als wir uns um 14.55 Uhr in die Mega-Menge vor den Pforten Lisebergs einreihen. Innerlich stöhne ich. Am liebsten würde ich mich vordrängeln. Aber ich lasse mir – auf eine vermutlich Mr. Bean-artige Weise – nichts anmerken. Erstens bin ich eigentlich erwachsen. Zweitens verhalten sich in Schweden selbst winzigste Besucher ausgesprochen manierlich. Und drittens möchte ich Volko keine Gelegenheit geben, die Frage zu stellen, die absolut auf der Hand liegt: Sag mal, müssen wir wirklich hier rein?
Was für eine Frage! Klar, müssen wir. Unbedingt. Schnell. Dabei würde ich in Deutschland lieber Gras essen, als einen Vergnügungspark zu betreten. Aber in Skandinavien ist das was anderes. Vor allen Dingen in Liseberg, wo in der Weihnachtszeit Licht- und Deko-Künstler sich mal so richtig ins Zeug legen. Als wir – endlich – die Tickets in der Hand halten, ist es 15.05 Uhr. 10 Minuten hat das elende Anstehen gedauert. Eine Ewigkeit (die man sich sparen kann, denn nach dem Anfangsandrang bilden sich keine Schlangen mehr vor den Kassenhäuschen).
Heissahoppsa Liseberg
Von 1923 bis 1999 war Liseberg ein reines Sommervergnügen. Im Jahr 2000 fand der erste Weihnachtsmarkt statt. Inzwischen ist er der größte Skandinaviens. Er öffnet Mitte November mit Einbruch der Dämmerung. Und ja, das ist alles künstlich. Doch das stört keinen großen Geist, wie Karlsson vom Dach weiß. Kinder kümmern sich ohnehin nicht um Moden und Zeitgeist. Sie haben eine Schwäche für Künstliches und Blinkendes (selbst wenn ihre Eltern viel Wert auf Stil legen. Vielleicht gerade dann).
Man muss Liseberg aus kindlicher Perspektive betrachten. Beobachten, wie Fünfjährige ehrfürchtig durchs Hasenland, Winterland, Lappland und Tomteshuset hopsen. Ehrfürchtig hopsen, stellt man dann fest, ist eine Fähigkeit, die sich mit zunehmendem Alter verliert. Das kriegt man nur noch in Ausnahmefällen hin, wenn die Gegebenheiten direkt aufs Gefühl zielen – ohne Umwege über das Gehirn. Da Licht und Musik bei mir relativ verlässlich wirken, bin ich in Liseberg kurz abgetaucht in diesen Ausnahmezustand – erleuchtet von 5 Mio LED-Leuchten; mit schwedischen Weihnachtsliedern im Ohr.
Liseberg: wer, wie, was und warum?
Wann: Die reguläre Saison in Liseberg läuft von April bis Oktober. Nur dann sind alle Fahrgeschäfte geöffnet. Von Mitte November bis 30. Dezember ist Liseberg in ein Winterwunderland umgestaltet.
Wie lange: Gut 2 Stunden muss man mit An- und Abreise (Straßenbahn oder zu Fuß) schon einplanen.
Wie teuer: Unter 110 cm, ist der Eintritt frei. Größere zahlen 100 Kronen (etwa 10 Euro) für das Basis-Ticket (das nicht zum Besuch der Fahrgeschäfte berechtigt).
Wer und warum: Wer ein Alibi-Kind im Schlepptau hat, ist fein raus. Der Rest heuchelt Interesse an schrecklichen Achterbahnen bzw. an den Saison-Specials; etwa Gartentage im Frühling, Konzertnächte im Sommer, Zombie-Sachen zu Halloween oder eben Weihnachten.
Und apropos Weihnachten: wir wünschen Euch friedliche, frohe Tage.
Was zum Träumen: die Schärengärten vor Göteborg
Zum 4. Advent was zum Träumen: die Einfahrt nach Göteborg durch die Schärengärten. Gleich zwei Archipele sind der Küste vorgelagert – die südlichen und die nördlichen Schären. Sie bestehen aus einer Vielzahl von felsigen Inseln, einige bewohnt, manche nur im Sommer, viele gar nicht. Ist es nicht seltsam, wie zart eine Landschaft wirken kann, die vorwiegend aus Granit besteht?! (Mit Klick auf die Galerien, kann man die Fotos vergrößern, falls man sich für winzige Schwedenhäuschen und Leuchtfeuer interessiert).
- Dezember
Der Vater ging weiter über die Insel. Er dachte nicht besonders viel … und eine Landzunge hier oder da, das war nicht so wichtig, wenn man viele davon hatte. Er erreichte die Brandung und blieb am Ufer stehen. Hier wanderte sein Meer vorbei … Als er sich umdrehte, um seine Insel zu betrachten, sah er über das Meer einen weißen Lichtstrahl fallen. Er tastete sich über den leeren Horizont und kam in langen regelmäßigen Wellen zurück. Das Leuchtfeuer brannte.
(aus Mumins wunderbare Inselabenteuer von Tove Jansson)
Saltkrokan ist eine Insel in den äußersten Schären. Hinter Saltkrokan fängt das offene Meer an mit kahlen Felseninseln und nackten Klippen, wo niemand wohnt als die Eidergans und die Möwe und andere Meeresvögel. Aber auf Saltkrokan wohnen Menschen. Nicht viele. Höchstens zwanzig. Das heißt, im Winter. Im Sommer kommen Sommergäste.
– aus Ferien auf Saltkrokan von Astrid Lindgren –
„Sehr vorsichtig steige ich auf die höchste Spitze der Insel. Dort sind silberne Flecken, farbige Nähte schweißen die Felsen zusammen, auf denen sich kleine Landschaften aus senfgelben Flechten angesiedelt haben. Auf dem entgegengesetzten Ufer steht eine Wiese versunkener Blumen, das Seegras wogt hin und her, wie sanfte Konfettilocken. Eine Schaukel hängt von einem Ast, und Kinder haben unzählige Lager und Höhlen hinterlassen.“
– Esther Freud im Vorwort vom Sommerbuch –
„Ist es nicht wunderschön?“ Kyle blinzelte in den Regen, alles um uns herum war grau oder schwarz. Die Art, auf die es wunderschön war, forderte etwas von einem. Eine Landschaft, die die Macht hatte, einen zu jeder Zeit dazu zu bringen, die tiefsten und geheimsten Gedanken zu hinterfragen.“
– aus Die Stille unter dem Eis von Rachel Weaver –
Nett zu wissen: die Schärengärten von Göteborg
- Reist man mit der Fähre nach Göteborg, tauchen die ersten Schären etwa eine Stunde vorm Festmachen auf.
- Läuft alles bestens, gelangt man in 50 Minuten vom Tysklandsterminalen nach Asperö in den südlichen Schären. (Straßenbahn bis Saltholmen, Personenfähre). Im Winter fahren die Fähren leider nur im 2-Stunden-Takt.
- In die nördlichen Schären habe ich mich letztes Jahr bei Heike von Björklunda verliebt. Konkret: in die Jugendherberge auf Hönö. (Weil´s Schweden ist, müsste man Jugendherberge natürlich in Tüddelchen setzen.)
- Das Leben auf einer Schäreninsel beschreibt der Roman Eis von Ulla-Lena Lundberg. Nur was für Menschen, die es gern haben, wenn weiter nichts passiert (im Leben wie im Roman).
Und dann wollte ich noch sagen: Einen schönen vierten Advent allerseits!
Nachtexpress nach Schweden: die Stena Scandinavica
Die Stena Scandinavica ist ein RoPax-Schiff, auch Kombicarrier genannt, also kein Passagierdampfer oder Kreuzfahrtschiff sondern eine Fähre. Ein Verkehrsmittel. Nacht für Nacht zieht sie verlässlich von Kiel nach Göteborg bzw vice versa; pünktlicher als die Deutsche Bundesbahn. Die hatte nämlich eine Stunde Verspätung, als wir letzte Woche zu unserem Minitrip nach Schweden aufbrachen. Es ließ mich kurzfristig die Nerven verlieren (ich bin leider so). Aber als wir erst einmal den Kieler Hauptbahnhof erreicht hatten, konnte selbst ich jeden Stress hinter mir lassen.
Der Schwedenkai liegt in Sichtweite des Hauptbahnhofs. Langsam-Geher brauchen vielleicht 10 Minuten zum Terminal. Einchecken ist eineinhalb Stunden vor Abreise möglich, was das Ganze schön entzerrt. Überhaupt war die gesamte Überfahrt so organisiert, dass wir nirgends und nie anstehen oder warten mussten.
An Bord gibts erst einmal einen Glögg aufs Haus bzw. Schiff. Bei der Hinreise verzichteten wir, denn Glögg trinkt man ja nicht, weil er schmecken würde sondern aus Stimmungsgründen. Und zunächst war ich mir über meine Stimmungslage noch nicht ganz im Klaren. Neben der Vorfreude beschäftigten mich auch Themen wie Seekrankheit und Klaustrophie.
Meine Befürchtungen waren vollkommen unnötig. Die Stena Scandinavica gibt sich schön großzügig und stabilisiert. Was Seekrankhkeit betrifft, weiß ich inzwischen: je älter man ist, desto kleiner die Gefahr. Und das sanfte Rollen einer Riesenfähre ist gar nichts im Vergleich mit den kleinen Verwandten zu den nord- und ostfriesischen Inseln.
Unsere Kabine – ganz oben auf Deck 11 – fanden wir ungeheuer gemütlich. Zwei Betten, ein kleiner Schreibtisch, Telefon, TV, Garderobe und Meerblick. Das Bad funktional mit eins a Dusche. Man behält seine Kabine übrigens für die Rückreise. Kann also seinen Krempel dalassen, wenn man von Bord geht. Feine Sache.
Ein Trip auf der Stena Scandinavica ist absolut bezahlbar
Ich vermute, es handelte sich bei „unserem“ Kabinentyp um den beliebtesten von allen. Jedenfalls ist er am häufigsten ausgebucht. Das habe ich festgestellt, als ich mich durch die Buchungsseite der Stena Line klickte. Ich wollte mal sehen, ob die vielfach angeteasterten 69 Euro pro Person ein spezielles Ausnahmeangebot darstellen. Aber es ist tatsächlich der ganz normale Preis für eine Innenkabine. Mit Upgrade für unsere Außenkabine kämen zwei Personen für zwei Übernachtungen auf 178 Euro.
Steht einem der Sinn nach einer Suite, Balkon oder Jacuzzi kann man auch heftiger upgraden. Günstiger gehts allerdings auch. Das erzählte uns eine Vielfahrerin. Wir trafen sie beim Auslaufen an Deck, was erstaunlich wenig Passagiere an die frischen Luft lockte. Vielleicht weil die Bar des Yacht Clubs im Winter geschlossen hat? Jedenfalls konnte die Dame berichten, dass die besten Schnäppchen zum Black Friday und zur Kieler Woche zu schnappen sind. Ihre Kosten beliefen sich dieses Mal auf 54 Euro. Insgesamt.
Wir blieben auf Deck, bis Kiel nicht mehr zu sehen war. Dass man raus kann, lässt Autos, Züge und Flugzeuge blass aussehen gegen Fähren. Natürlich, mit dem Flugzeug wären wir ungefähr in Göteborg gelandet, als wir mit dem Schiff Laboe passierten. Eine weitere Stunde später wären wir vermutlich im Hotel gewesen. Und dann hätten wir sicher schnell ein Restaurant gesucht. Und im Anschluss eine Bar. Aber genau das kann man auf der Fähre ja auch.
Auf der Stena Scandinavica gibt es drei Restaurants. In einem isst man a la carte, im anderen wartet ein durchaus verschwenderisches Buffet mit tollen Meeresfrüchten und das dritte im Köttbullar-Style gibt sich ein bisschen rustikaler. Aber lecker ist es da!
Nachts zwischen Kiel und Göteborg
Was man sonst noch machen kann: Spielen (Erwachsene an Slot Machines oder Bingo. Kinder im Spielzimmer.). Einkaufen im Duty Free Shop. Fernsehen im Living Room. Drinks nehmen an zwei Bars. Dancen in der Disco. Ausflüge buchen am Info-Desk. Oder einfach nur so rumgeistern und Leute beobachten. Oder ab in die Koje und schlafen – und zwar ganz herrlich. Ehrlich.
Verschlafen kann man auf der Fähre übrigens nicht. Pünktlich um 08.00 Uhr meldet sich der Kapitän übers Bordradio, um einen guten Morgen zu wünschen. Dann hat man noch ein Stunde Zeit, bis das Schiff anlegt.
Wir hatten um 08.00 Uhr längst gefrühstückt. Und zwar sehr gut und mit Blick aufs Meer. Zunächst war da wenig vorm Fenster zu sehen, so dass wir ganz in Ruhe das Buffet genießen konnten. Es war besser als das typische Frühstück in deutschen Hotels der Business-Klasse, weil schwedisch und Pfannkuchen mit Preiselbeeren. Als der Horizont zu leuchten begann, nahmen wir unseren Kaffee mit an Deck und waren mal wieder ganz allein da draußen.
So nach und nach folgten die 10% der Passagiere, die einen Sonnenaufgang im Schärengarten von Göteborg für bemerkenswert halten. Für uns war es eine der schönsten Stunden überhaupt in diesem Jahr. Aber das ist eine Typfrage.
Apropos Typfrage. Wenn man erzählt, dass man einen Minitrip von Kiel nach Göteborg unternimmt, sagen 2 von 3 Leuten: „Ach, das wollte ich auch immer schon mal machen. Erzähl mal danach, wie es war.“ Deswegen habe ich es so ausführlich beschrieben. Damit man sich ein genaues Bild machen kann und vielleicht den letzten Kick zum Buchen verspürt. Lohnt sich nämlich wirklich. Für die unterschiedlichsten Typen.
Was den Wintertag in Göteborg so wunderbar macht, habe ich hier beschrieben. Für Sommertipps schaut mal bei Reisefeder Anke nach – sie kennt sich aus; Göteborg ist ihre Lieblingsstadt.
Und was die Reise mit der Stena Scandinavica betrifft, bleibt nur noch zu sagen: Die Rückfahrt hat uns noch besser gefallen als die Hinreise. Insgesamt war das ein rundrum toller Kurztrip mit Eindrücken, die für einen Jahresurlaub ausgereicht hätten.
Hierfür bedanken wir uns ganz herzlich beim Team der Stena Line, das uns zu dieser Reise eingeladen hat.
Warum ich dann doch noch in Weihnachtsstimmung geriet (Göteborg)
Bis vorvorgestern war mir noch ganz unweihnachtlich zumute, aber nun waren wir in Göteborg und ich muss schon sagen, Schwedens zweitgrößte Stadt ist eine Spitzenadresse, um in Stimmung zu kommen. Skandinavien entspricht ohnehin meinem Idealbild von Weihnachten; mehr als etwa die Alpenländer. Vielleicht weil ich mit skandinavischer Kinderliteratur aufgewachsen bin. Und vor allen anderen und ausführlicheren Schwärmereien, schicke ich schon mal vorweg, warum mich Göteborg endlich im Advent ankommen ließ. Bzw. die gesamte Reise, die aus 30 Stunden Schiffsfahrt und 8 Stunden Landgang bestand.
Santa Line: Minitrip Kiel – Göteborg
Was haben wir uns über die Einladung von Stena Line gefreut, der schwedischen Fährgesellschaft, die in der Vorweihnachtszeit zur Santa Line wird. Ich habe den Minitrip von Kiel nach Göteborg vor Jahrzehnten schon einmal unternommen, aber das war im Sommer. Und ich kann mich auch gar nicht mehr so gut an die Seereise an sich erinnern (mal abgesehen von dem stockbesoffenen, schwedischen Herrn, dem ein Shrimp in den Hosenaufschlag geraten war. Was er über einen längeren Zeitraum nicht bemerkte und meinen damaligen Freund und mich für Stunden faszinierte).

abends am Schwedenkai von Kiel
Dieses Mal habe ich – haben wir – die 15 Stunden an Bord von der ersten bis zur letzten Minute genossen. Unter Deck war für alles gesorgt. Auf Deck jede Menge Platz zum Träumen. Und die nächtliche Ostsee war schwarz und kalt aber windstill und als ich nachts einmal aufwachte, war der Himmel vor dem Kabinenfenster sternenklar. Ich wäre beinahe nicht mehr eingeschlafen vor Vorfreude auf den Schärengarten von Göteborg. Doch das ganz, ganz sanfte Schlingern hat mich dann doch wieder in den Schlaf gewiegt.
Staunen wie ein Kind: die südlichen Schären
Im Dezember ist der Fahrplan der Stena Line optimal. Direkt zum Sonnenaufgang taucht die Fähre in die Welt der südlichen Schären ein. Der Schärengarten von Göteborg ist von so atemberaubender Schönheit, dass wir beim Fotografieren nicht bemerkten, wie kalt es eigentlich war. Das waren gleich zwei sehr, sehr weihnachtliche Gefühle: Abgestorbene Finger und ein ganz tiefes Staunen.
Die Schären sind von Göteborg mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Im Winter setzt die Fähre allerdings nur alle zwei Stunden über, so dass die Aktion etwas zu zeitraubend ist (wenn man auch noch etwas anderes von Göteborg sehen möchte). Das war ein bisschen bedauerlich. Sobald alle Fotos sortiert sind, werde ich es besser illustrieren. (Edit: erledigt.) Andererseits war es aber auch ok so – denn spätestens jetzt wussten wir aber, dass wir den Trip noch einmal unternehmen möchten – wenn´s warm ist.
Barnens Zoo: Elche und Rentiere im Slottsskogen
Von Wärme konnte vorvorgestern keine Rede sein. Die Stadt war mit Raureif überzogen, als wir pünktlich um 09.15 Uhr am Tysklandsterminalen anlegten. Viertel nach neun schien uns nicht die ideale Zeit, um die Innenstadt zu entern. Deshalb machten wir einen Umweg über den Schlosswald.

Achte auf die Fuesse. So niedlich!
Der Schlosswald ist ein großartiger Park mit teilweise ziemlich heftigen Steigungen. Er bietet tolle Aussichten auf die Stadt. Zu den höchsten Punkten ziehen sich die Gehege von Barnens Zoo mit seinen nordischen Tieren, u.a einer Elch-Familie.
Barnens Zoo ist der älteste Schwedens und kostet keinen Eintritt. Überhaupt kann Schweden viel günstiger sein, als man gemeinhin so glaubt.
Eine Kirche dem Fisch
In den wundervollen Markthallen von 1889 etwa kann man ausgesprochen gut und sehr günstig schwedische Hausmannskost speisen. Eigentlich hätten wir Fisch essen sollen oder Meeresfrüchte oder Schalentiere, denn dafür ist Göteborg berühmt. Erhältlich z.B. an den Ständen der Fischkirche; dem Fischmarkt von Göteborg.

Fast schon religioes ist das Verhaeltnis der Goeteborger zu Fisch und Schalentieren: rechts die Fischkirche.
Apropos gute Dinge. Weihnachtssüßigkeiten sind ja gar nichts Besonderes mehr, seit sie schon ab September erhältlich sind. Ich esse zwar vor der Weihnachtszeit keine Lebkuchen et al. Aber allein schon, weil ich sie ständig kaufen könnte, verblasst der Glanz. Läutet man in einem anderen Land die Weihnachtszeit ein, denkt man beim Zuckerzeug noch mal oooh und aaah; ganz wie es sich gehört.
Man kann das ooooh und aaaah auch auf alle anderen Waren übertragen – denn wie man weiß, ist in Schweden alles immer ein bisschen niedlicher als bei uns. Göteborg ist ein Paradies für X-Mas-Shopper und Bummelanten. Vom Trödel in den alten Holzhäusern des Haga-Viertels bis zu sehr eleganten Gründerzeitpassagen der Innenstadt.
Alles ist erleuchtet: Göteborg zur Weihnachtszeit
Das Licht ist in Göteborg natürlich mal wieder die Hauptsache. Während der Altstadtkern schon früh im Schatten liegt, spiegelt sich im Hafen noch die Sonne im Wasser. Allerdings hat man auch hier schon ab etwa 14.30 Uhr ein Gefühl von Dämmerung. In Sinne einer (hell)blauen Stunde. Gefolgt von einer mittelblauen- und schließlich einer dunkelblauen Stunde.
Um kurz vor 15.00 Uhr wendeten wir dem Wasser – ausnahmsweise leichten Herzens – den Rücken zu. Denn so nach und nach knipste die Stadt die Weihnachtsbeleuchtung an. Und die ist ziemlich phantasievoll und niemals aufdringlich.
Wer Lichtinstallationen liebt und ein kindliches Gemüt besitzt (also ich), muss dann unbedingt nach Liseberg. Herrlich ist schon die Fahrt in der altmodisch-anmutigen Straßenbahn durch die Avenyn, die Prachtstraße der Stadt.
Weihnachtsstadt Liseberg
Liseberg, der größte Vergnügungspark Skandinaviens, verwandelt sich ab Mitte November in ein Winterwunderland. (Sehr nette Männer machen das mit, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken).
Zwar war der Weihnachtsmann beschäftigt, aber ich habe mich auch so prächtig amüsiert mit Tomte und Nisse und Kobolden und Elfen. (Und ich warne schon mal vor, dass ich zu gegebener Zeit noch einmal darauf zurückkommen werde.) Apropos zurückkommen:
Elfenschnappen in Ikea-Land
Wie in jeder Hafenstadt, die etwas auf sich hält, gehören auch in Göteborg Fähren zum ÖPNV. Die Linie Älvsnappen (merke: Elfen schnappen) schippert von der Innenstadt zur Station Klippan (denke: Ikea) gleich beim Tysklandsterminal. Das ist zu jeder Zeit toll, besonders aber am Abend.
Genau wie es am Abend großartig ist, auf eine nächtliche Schiffsreise zu gehen. Das hätte ich vorher nicht unbedingt vermutet. Aber auf Fähren ist tatsächlich schon der Weg das Ziel. Finden wir jedenfalls. Und wie das da zugeht, erzähle ich dann nächstes Mal. (Edit: erledigt – hier gehts lang.)
Solange Plusgrade herrschen: Wilhelmsburger Loop
Loop ist plattdeutsch für Lauf (sagt Hamburg.de) oder englisch für Schleife (sagt der Loop selbst). Jedenfalls steht es in Lautschrift so auf den blauen Quadraten geschrieben, die den Freizeitkurs markieren. Wir loopten vergangenen Sonntag mit dem Rad und hatten durchaus Spaß. Gestartet sind wir an der S-Bahn Wilhelmsburg bzw im Inselpark, wo erstaunlich wenig los war. Wie überhaupt auf dem Loop ziemlich wenig Verkehr herrschte. Was man ja nicht für möglich halten sollte an einem knallblauen Sonntagmittag. Aber so war´s. Außer uns waren nur ein paar Skater und Jogger unterwegs.
Als (beinahe) einzige Fans der igs 2013 gucken wir im Inselpark gern und regelmäßig vorbei. Im Winter waren wir aber noch nie da. Und es war jetzt – so ganz ohne Blattwerk – witzig zu sehen, dass das Gelände viel kleiner ist, als ich glaubte. Gleichzeitig kann man sich mittlerweile vorstellen, dass der Inselpark irgendwann so schön & wichtig wird wie Planten & Blomen heute ist.
Der Loop hat einen sehr feinen Belag, auf dem es sich sicher gut im Irrsinnstempo rollen lässt. Aber dafür muss man erst einmal die Wegführung kennen. Beim ersten Mal sucht man ständig nach den vier blauen Quadraten im Asphalt. Vermutlich leuchten sie normalerweise weithin. Doch derzeit sind sie zum Großteil unter Laub verborgen, so dass Schnitzeljagd-Feeling aufkommt.

Vom Inselpark geht es ueber den Veringkanal zum Uferpark
Der Loop spiegelt den Charakter Wilhelmsburgs

Die Veringsschleuse ist die letzte Schleuse Hamburgs, die noch von Hand betrieben wird
Toll ist das im Uferpark am Reiherstiegknie – so ganz ohne Dockville et al. Perfekter Sonntagsspot für Leute, die nichts mit Autolärm am Hut haben. Denke ich ans erste Dockville Festival zurück – das war im Sommer 2007 – kann ich nicht fassen, wie sich alles verändert hat. Er erscheint mir noch unglaublicher als die Existenz der Hafencity.
Der Loop folgt noch ein kurzes Stück dem Reiherstieg, knickt ins Reiherstiegviertel ab, um wahlweise zurück zum Bahnhof Wilhelmsburg zu führen oder zur Veddel. Die zweite Variante verläuft durch Kleingärten parallel der Wilhelmsburger Reichstaße, was aus auditiven Gründen mittelgut ist. Andererseits beginne ich langsam, langsam Wilhelmsburg zu verstehen. Hat doch tatsächlich nur 10 Jahre gedauert, dass ich mich auf der anderen Elbseite nicht mehr wie beim Blindekuh-Spielen fühle.
Der Loop ist wie der Moment, wenn einem die Augenbinde abgenommen wird und man denkt: ach, hier bin ich?!
Der Loop ist nur 7,1 km lang und damit definitiv zu kurz. Aber ganz normale Radwege führe natürlich weiter. Von der Veddel ist es nur noch ein Klacks über die Elbbrücken zum Elbpark Entenwerder. Dort wollten wir eigentlich endlich mal auf dem Ponton einen Kaffee trinken – aber die Idee hatten eine Menge Menschen, so dass wir schnell wieder abdrehten. War aber auch zu und zu schön letzten Sonntag. (Beweise mit Elbblick gibts bei Claudia und Ralph von MeerArt, die sich hier ebenfalls rumtrieben.)
Beim Ponton wechselt übrigens auch der Riverbus vom Land aufs Wasser. Er hat uns völlig überrumpelt, weil er witzigerweise ü-ber-haupt nicht abbremst, bevor er in die Elbe prescht.
Noch was Unfassbares. Als wir unsere Fahrräder wieder aufschlossen, hörte ich jemanden sagen: „Unglaublich, dass heute der 1. Advent ist“. Und das konnte ich nur unterschreiben – denn das war völlig an mir vorbeigegangen!
Ich hinke dieses Jahr ständig hinterher. Stecke gefühlt noch im Herbst. Das Jahr scheint mir genauso schnell zu rollen, wie ein Rad auf der Oberhafenconnection, über die wir zurück in die City fuhren. Doch langsam sollte ich wohl mal Stimmung geraten. Oder jedenfalls ein erstes Weihnachtsgeschenk besorgen.
In diesem Sinne: Einen schönen 2. Advent allerseits!
Gastbeitrag aus dem Innern der Elphie: Wir haben fertig
Neulich fand in Hamburgs bekanntestem Ex-Bauvorhaben eine kleine Feier statt, die der Bürgermeister anlässlich der Übergabe der Elbphilharmonie an die Stadt am Tag vorher für die Menschen ausrichtete, die an der Erstellung dieses Hauses maßgeblich mitgearbeitet haben.
In seiner Rede erwähnte Herr Scholz auch, dass ihm die Architekten gleich zu Beginn seiner Amtszeit gebeichtet hatten, dass dieses Bauwerk an der Grenze des technisch Machbaren läge. Dass solche Grenzen auch mal überschritten werden können, war Herrn Scholz durchaus bewusst, umso größer ist auch bei ihm die Freude, dass die Elbphilharmonie nun fertig ist.
Nicht weiter erwähnt wurde, dass vor ein paar Wochen noch einmal etwas passierte, das die Schwierigkeiten bei der Erstellung dieses Bauwerks, die extremen technischen und qualitativen Anforderungen und die Bedeutung des Begriffs „fertig“ für die am Bau Beteiligten noch einmal wie im Brennglas verdichtet repräsentierte.

Elbphilharmonie Kleiner Saal
Es ging um den „Kleinen Saal“, der mit seiner Holzvertäfelung ein Kleinkunstwerk an sich ist. Das herausragende architektonische und funktionale Element dieses Saals sind die Wandverkleidungen mit jeweils mehrere hundert Kilo schweren Eichenholzplatten. Aus Gründen der Akustik wurde in die Oberfläche dieser Massivplatten auf Grundlage von Computersimulationen und akustischen Berechnungen eine Hügellandschaft gefräst, die niemals gleich ist und als Ganzes doch einem exakten Plan folgt.
Diese Platten – es sind ziemlich viele – wurden bereits vor Jahren gefertigt und ebenso lang in exakt klimatisierten Räumen gelagert, bevor sie ab der zweiten Jahreshälfte 2015 unter wiederum exakt einzuhaltenden klimatischen Bedingungen im Saal montiert wurden. Ohne hier jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen war dabei eine extrem hohe Fertigungs- und Montagegenauigkeit umzusetzen, denn Holz ist ein Baustoff, der nie aufhört zu leben und auf Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen immer weiter mit Formänderungen reagiert. Bei Plattenmaßen von um die zwei Meter kann man sich selbst ausrechnen, was eine Längenänderung von wenigen Prozent in den Platten für die nur wenige Millimeter breite Fuge zwischen den Platten bedeutet.
Nun, diese Problembaustelle innerhalb der Problembaustelle war im Juni dieses Jahres abgeschlossen. Unzählige akustische Messungen wurden durchgeführt, in sehr pingeligen Prüfungen wurden auch noch die kleinsten Abweichungen vom Leistungssoll aufgespürt und korrigiert. Im Herbst war dann dieser Saal fertig. Und zwar komplett fertig.
und dann klatschte jemand laut in der Elbphilharmonie
Doch dann ging jemand in den Kleinen Saal und klatschte laut in die Hände. Und dann passierte, was nach Ermessen aller nicht passieren konnte: es war ein Nachhall zu hören. Ein für einen Saal mit diesen Ansprüchen nicht akzeptabler Nachhall (Echo für die Nichtakustiker unter uns).
Um es abzukürzen: auf Grund dieses Echos müssen sämtliche dieser riesigen Eichenholzplatten auf der einen langen Wandseite wieder demontiert und leicht schräg wieder eingebaut werden. Und selbst diese Beschreibung ist noch viel zu harmlos in Bezug auf das, was nun unter erheblichem Zeitdruck technisch und handwerklich umzusetzen ist.
Soviel zu den grenzwertigen technischen Herausforderungen und der „ich habe fertig“ Vermutung an diesem Bauwerk. Wer will, kann anhand dieses Beispiels versuchen sich auszumalen, was die Planer, Ingenieure und Handwerker im Laufe des quälend langen Herstellungsprozesses dieses Gebäudes durchmachen mussten.
Bleibt die Frage, ob das Haus all diese Mühen wert ist. Nun bin ich durch meine eigene Beteiligung an diesem Projekt natürlich etwas befangen. Allerdings habe ich als jemand, der sich mit der technischen und handwerklichen Umsetzung der architektonischen Ideen befassen durfte / musste einen – vorsichtig ausgedrückt – durchaus kritischen Blick auf das, was am elektronischen Tisch der Künstler so ersonnen wird. Als Hamburger Steuerzahler fragt man sich sowieso, ob das alles sein musste.
Nun, ich war seit mehreren Wochen nicht mehr im Gebäude gewesen und als ich Freitagnachmittag mein Fahrrad vor dem Projektbüro abstellte, um meine Eintrittskarte für die abendliche Veranstaltung abzuholen, wurde ich fast von einer Kolonne von Feuerwehrfahrzeugen überfahren, die mit Blaulicht und Sirene anrauschten und vor dem Kaispeicher hielten. Kurz hatte ich Bedenken, dass die Feier ausfallen müsste, aber natürlich war das einer der für die Anfangsphase nach der Übergabe eines Gebäudes typischen Fehlalarme.
Beruhigend: die Feuermelder der Elbphilharmonie funktionieren
Wenn ein Gebäude dem Nutzer übergeben wird, muss die Brandmeldeanlage scharf geschaltet werden und jeglicher Alarm läuft sofort bei der zuständigen Feuerwache auf und löst dort einen Einsatz aus. Wer zuhause erlebt hat, was ein bisschen zu viel Dampf beim Kochen bei den Baumarktfeuermeldern an der Decke auslöst, kann sich vielleicht vorstellen, wie die Brandmeldeanlage in einem sicherheitstechnisch so sensiblen öffentlichen Gebäude reagiert, wenn in irgendeiner Ecke noch einmal etwas geschliffen werden muss. Und geschliffen, gesägt und auch geschweißt wird mindestens in den sich noch im Bau befindlichen Wohnungen an der Nordspitze des Gebäudes noch eine ganze Menge.
Doch genug der alltäglichen Horrorgeschichten aus dem Bauleben. Ich hatte wie bereits erwähnt die Entstehung des Gebäudes in den letzten beiden Jahren recht hautnah miterlebt, aber die Bereiche des Foyers vor den Sälen bisher nicht in einem auch nur annähernd fertigen Zustand gesehen. Von daher war ich sehr gespannt, wie es geworden ist.
Ich will hier nun nicht zu viel verraten und über die Akustik des Großen Saals wurde uns sowieso Stillschweigen auferlegt, daher nur so viel:
Ich muss bei den vielfach verfluchten Architekten Abbitte leisten. Das Gebäude und insbesondere der Konzertbereich ist ein Gesamtkunstwerk, das seinesgleichen sucht und in einer Liga spielt, in der ganz wenige Bauwerke in Europa mithalten können. Spontan fällt mir dazu eigentlich nur das Guggenheim Museum ein. (Zum Vergrößern Bilder einfach anklicken).
Der Weg zum Konzertsaal über die sogenannte Tube mit den beiden Rolltreppen und der Aussichtsplattform dazwischen auf die Plaza und von dort über die organisch geschwungenen Treppen in den fast schon psychedelisch wirkenden, sich über mehrere verschachtelte Ebenen erstreckenden Foyer Bereich ist ein Erlebnis für sich. Die fantastischen Aussichten über die Stadt und den Hafen nimmt man dabei kaum noch wahr.
Und dabei ist das alles nur das Vorspiel zum architektonischen Hauptakt, dem großen Saal. Dieser ist ein Gesamtkunstwerk, dass man nicht beschreiben kann, sondern selbst erlebt haben muss. Und am Ende kommt dann ja noch die Musik hinzu, die diesen Raum füllen wird……
Nun denn, ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Philharmonie auf Jahrzehnte hinaus diese Stadt positiv prägen wird und möglicherweise für die Wahrnehmung dieser Stadt das werden wird, was am anderen Ende der Welt das Opernhaus in Sydney ist.
Ich kann nur jedem, auch den kritischsten Beobachtern der Entstehung dieses Bauwerks, empfehlen, sich das selber einmal anzuschauen (und anzuhören). Ich empfehle, egal für welches Konzert, Karten auf den billigen Plätzen ganz oben im Großen Saal zu erwerben, mit der U-Bahn anzureisen und den oben beschriebenen klassischen Zugang über Tube, Plaza und Foyer in den Saal zu nehmen und dabei nicht auf den letzten Drücker vor Beginn des Konzerts anzukommen.
Ob die roundabout 800 Millionen Euro, die das Ganze gekostet hat, als lohnende Investition zu bewerten sind, muss dann jeder für sich selbst entscheiden. Man bedenke dabei jedoch: hätte man vorher gewusst, was das Haus kostet, wäre es wohl nie gebaut worden.
Kampen oder warum ich keine Selfies mache
Meinem Empfinden nach löst kein anderer Urlausbort in Norddeutschland so viel Spott aus wie Kampen. Kampen gilt Vielen als Synonym für Schickimicki. Irgendwie verhaftet in den 80ern, bevölkert von Männern in Colour-Blocking-Outfits und Frauen, die entweder zu viel Goldschmuck tragen oder dem Typ Hamburger Eisente angehören. Obendrein noch der un-säg-liche Nachwuchs!
Ich selber habe das nie so empfunden. Für mich waren das Vorurteile. Und nun hat mich ausgerechnet der Tourismus-Service Kampen ins Grübeln gebracht. Denn dort hält man das, was ich für Vorurteile hielt, offenbar für die Wahrheit. Und sie werden ihre eigene Zielgruppe ja kennen…

Den besten Blick von Kampen gibts auf der Uwe-Duene
Tourismus ist ein Riesending für Norddeutschland. Ein enormer Wirtschaftsfaktor. Dennoch bekommen wir von Touristikern, Gastronomen, Kaufleuten usw. erstaunlich oft folgenden Standardsatz zu hören: „Wir wollen hier schließlich kein zweites Sylt werden.“
Das kann ein guter Plan sein. Wenn es denn aus den richtigen Gründen geschieht. Gute Tourismuskonzepte kümmern sich aktuell vor allem um Naturschutz (so wie in Kampen) und versuchen gleichzeitig die Einheimischen vor totaler Abhängigkeit vom Tourismus zu schützen (so wie in Kampen leider nicht).
Insofern kann man es also durchaus besser machen als Kampen.

Das Rote Kliff leuchtet wenn die Sonne über die Kliffkante guckt: nachmittags bis abends.
Manchmal kommt es mir aber auch wie eine Schutzbehauptung vor, wenn Tourismusmenschen behaupten, ihre Gegend solle um Gottes Willen kein zweites Sylt werden. Weil: erst mal Können vor Lachen. Mit 40 km allerfeinstem Nordseestrand am Stück und gewaltigen, gewaltigen Dünenlandschaften ist Sylt quasi die Blaupause des klassischen Nordseetraums. Da kommt in Deutschland nun mal nichts ran.

Licht, Wetter, Zeit – alles egal: Nordsee geht immer
Klar, es gibt auch andere super-duper-tolle Regionen. In Detailfragen könnten sich meiner Meinung einige Seebäder durchaus mal ein Stück abschneiden von Sylt. Besonders in Punkto Gastfreundschaft. Besonders von Kampen. Kein Quatsch. In diesem Sinne spielt Kampen in der ersten Liga. Gerade jetzt außerhalb der Saison ist auffällig, dass man eben nicht versucht, den Gästen den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen. Ganz im Gegenteil. Alles hübsch lässig.

Strandkoerbe in Traumlage: umsonst wie alles in der Nebensaison
Andernorts haben wir selbst in der Nachsaison schon Unsummen in Parkautomaten versenkt – teils auf völlig verwaisten Parkplätzen. Wir haben die grässlichsten öffentlichen Toiletten der Welt sehen müssen. Oder keine gefunden. Wir trafen in mittelguten Restaurants auf mittelfreundlichen Service. Häufig war´s auch schlechter. Oder nichts im Ort hatte geöffnet. Alle diese Sachen erlebt man in Kampen einfach nicht. Für ganz Sylt würde ich behaupten: Es ist eine durch und durch freundliche und aufgeschlossene Insel.

Drinks mit Aussicht: das Grande Plage am Strand vom Kampen
Also, unterm Strich scheint mir Kampen viel angenehmer als sein Ruf. Umso mehr betrübt mich eine Aktion, die das Klischee von Kampen nicht nur bedient sondern noch mal tüchtig unterbietet. Ich stieß darauf morgens an der Wattseite.

Die Sonne geht in Kampen an der Wattseite auf
Kampen und die Selfie Points
Zunächst hielt ich das Ganze für einen gelungenen Witz. Denn wer würde an dieser Stelle schon sein Gesicht fotografieren, das er ohnehin jeden Tag mehrmals sieht? Zumal doch der Sonnenaufgang flüchtig und zart ist und jede Minute etwas ganz Besonderes. Gar nicht mal schlecht, dachte ich, da will einer der Gesellschaft den Spiegel vorhalten.

Exklusiv: den Sonnenaufgang erlebt man oft ganz allein
Doch kurz darauf stieß ich auf den zweiten Selfie Point. Da schwante mir, dass es leider nicht ironisch gemeint ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Marketingmaßnahme des Tourismus-Service Kampen. Sie schreiben:
„Einzigartig – rund 20 Selfie Points laden in Kampen Selfie-Fans ein, sich selbst und Kampen perfekt in Szene zu setzen. Wer sich vom Selfie-Fieber anstecken lassen möchte, findet an und um die wichtigsten Plätze in Kampen sogenannte „Selfie Points“. Die weiß markierten Punkte sind so platziert, dass sie „eine perfekte Selbstportrait-Möglichkeit (…) bieten.“
Großes Gesicht vor kleiner Natur. Euer Ernst, lieber Tourismus-Service Kampen?

Vom Selfie Point fotografiert: eigentlich soll ein Gesicht die Sicht nehmen
Da man die eigene Kundschaft offenbar für etwas vertrottelt hält, wird nachgeschoben: Aber ein Selfie, was ist das eigentlich? Spätestens seit der englische Wörterbuchverlag „Oxford Dictionary“ den Begriff „Selfie“ zum englischen Wort des Jahres 2013 kürte, hat dieser innerhalb kürzester Zeit weltweite Popularität erlangt. „Die Welt“ beschreibt ein Selfie augenzwinkernd als einen „Foto-Quickie mit sich selbst“, also eine Art modernes Selbstportrait mit Hilfe einer Smartphone Kamera. Na, dann! Nur, wozu?

Bank mit Aussicht und dem Duft von frisch gebackenem Kuchen aus der Kupferkanne
Mag sein, ich bin seltsam. Aber ich kann Selfies nichts abgewinnen. Sie langweilen mich. Genau wie Füße im Sand (= footsie lt. Wiki) oder sehr viel Haar von hinten (=helfie). Klassische Reiseblogger-Pose nennt das Ulrike vom Bambooblog, die sich neulich Gedanken darüber gemacht hat, warum gigabyteweise Selfies in die Weltgeschichte gepostet werden.

Schon wieder kein Selfie. Dafuer der klassische Kupferkannen-Blick.
Nun gut, Menschen sind unterschiedlich. (Und wer Selfies mag, findet auf der Seite des Tourismus-Service übrigens die passenden Hashtags.) Wer sich lieber von der Schönheit Kampens überwältigen lassen möchte, kann den Bildern dieses Beitrags folgen. Sie zeigen alle Plätze, die man meiner Meinung nach mal gesehen haben sollte, bevor man über Kampen die Nase rümpft. Fehlt nur noch das Wiener Schnitzel mit Gurkensalat von Manne Pahl. (Denn Foodies mache ich auch nicht oft).