Die Stille in Hejlsminde wird mir so richtig erst bewusst, als zwei Enten auf dem Wasser landen. Wie laut ihr charakteristisches „Räb Räb Räb“ über dem Noor klingt. Wenn gar nichts sonst zu hören ist. Nicht einmal Wind. Mein Denken verlangsamt. Oder konzentriert sich vielmehr. Auf das, was gerade ist. Und den ganzen anderen Rest – was war/was wird – verhüllen Nebelschleier.
Eigentlich sind wir von der E45 abgebogen, um einen besonders weihnachtlichen Ort Dänemarks zu besuchen. Doch dann fiel uns der Wegweiser nach Hejlsminde ins Auge. Und die Faustregel sagt: wenn etwas auf -minde endet, darf man sich das nicht entgehen lassen. (Auch wenn ich vollkommen falsch damit lag, dass -minde für Mündung steht. Wie Hubert mir in den Kommentaren mitgeteilt hat, steht minde für Erinnerung. Und das ist ja eigentlich noch schöner.) Besonders in Hejls-minde – am Kleinen Belt, der Meerenge zwischen dänischem Festland und der Insel Fünen.
Wir pendeln über den Damm von der Ostsee ans Noor, und wieder zurück vom Strandsee an den Strand. Mag sein, dass der winzige Ferienort im Sommer die Bewohner der vielen Ferienhäuser kaum fassen kann. Doch heute ist hier niemand. Es nieselt.
Still ruht die See. Das Badehotel scheint verwaist. Der Kiosk hat geschlossen. Oder anders: God dag Tristesse, Du herrliche, dänische Ödnis, die Du nicht Jedermans Sache bist. Und für mich das Allerbeste. Ich liebe diese Reduktion auf fast gar nichts.
Aus dem Wörterbuch: Reduktion, Substantiv, feminin (die)
1. (bildungssprachlich) das Zurückführen auf ein geringes Maß
2. (Philosophie) Rückschluss vom Komplizierten auf etwas Einfaches
Mir ist es lieber, wenn ein Bauernhof nicht wie in der Landlust aussieht. Und Bootsschuppen nicht wie ein Bausatz von Ikea. Unterm Strich tragen mir immer mehr Küstenorte zu viel Make-up auf. Dabei gleichen sie sich zunehmend an. Genau wie die Metropolen dieser Welt sich ja auch immer mehr ähneln.
Dieser gewisse Instagram-Look, um den sich so viele Restaurants, Hotels, Läden, ganze Orte bemühen – darin liegt für mich die eigentliche Ödnis. Das Echte und Einfache geht mir hingegen nie auf die Nerven.
Ganz ähnlich sah das eine Handvoll Leute aus der Oberlausitz, die 1773 in der Nähe von Hejlsminde eine Stadt gründeten. In ihrer betonten Schlichtheit gilt die von der Herrnhuter Brüdergemeinde angelegte Planstadt Christiansfeld heute als kulturelles Erbe von Weltrang.
Unesco-Welterbe Christiansfeld: Herrnhutersterne aus Dänemark
Die Gebäude von Christiansfeld bestehen in der Überzahl aus hellen Ziegeln. Der Innenraum der Kirche ist nach wie vor reinweiß gehalten und wird lediglich mit Kerzen erleuchtet. Auf dem Gottesacker sieht ein Grab wie das andere aus. Als Symbol für die Gleichheit im Tod.
Zur Weihnachtszeit sind die schnurgeraden Straßen von Christiansfeld wunderbar reduziert geschmückt. Typisch dänsich lehnen kleinen Tannen (ganz ohne Flitter) an den Hauswänden. Und vor jedem, wirklich jedem, Hauseingang leuchtet ein Herrnhuter Stern.
Herrnhuter Sterne: Vor über 160 Jahren erdachte sich ein Mathematiklehrer im Internat der Brüdergemeinde in Herrnhut den komplizierten Stern – im Original hat er 110 Zacken. Der Lehrer ließ ihn von seinen Schülern aus Papier und Pappe nachbasteln, in der Hoffnung, geometrisches Verständnis zu wecken. Ob´s was gebracht hat, ist nicht überliefert. Aber seitdem fertigten die Kinder am 1. Sonntag im Advent einen Stern.
Heute kann man Herrnhuter Sterne ja praktisch überall kaufen. Am stimmungsvollsten sicher im Stammhaus in Sachsen. Oder eben in Christiansfeld. Genau wie Honigkuchen, die zweite Spezialität, die man aus Deutschland mitgebracht hatte. Honningkager aus Christiansfeld sind in Dänemark mindestens so berühmt wie bei uns Nürnberger Lebkuchen oder Aachener Printen.
Die Honigkuchenbäckereien haben das ganze Jahr geöffnet. Und wie man bei der Kapidänin Sibille sehen kann, ist Christandsfeld auch einen Sommerausflug wert. Der wandert bei mir auf die Liste. Nicht wegen des Honigkuchens, sondern um Christinero zu besuchen, eine kleine Parkanlage und letzte Ruhstätte von Christina Friederica von Holstein.
Die Kammerherrin ließ sich von Missionaren der Brüdergemeinde Samen und Setzlinge aus aller Welt mitbringen. Und so befindet sich ein kleiner Pavillion, den sie „Mine Tanker“ (Meine Gedanken) nannte, heute umgeben von exotischen Baumriesen. Ich stelle mir vor, dass sie sich da vielleicht ähnlich gefühlt hat, wie ich am Strand von Hejlsminde.
Anreise: Christinero, Christiansfeld und Hejlsminde
Christiansfeld liegt ca. 65 km nördlich der deutsch-dänischen Grenze; kurz vor Kolding. In den Ort hinein sind es von Ausfahrt an der E45 etwa 5 km. Christinero ist auf halbem Weg ausgeschildert. Um nach Hejlsminde zu gelangen, läßt man Christiansfeld hinter sich und folgt der Landstraße etwa 10 km.
Toller Tipp!
Wunderschöne Bilder…und ich hab ganz doll Lust bekommen, mir das anzusehen. Insbesondere vor Weihnachten….
Ist das herrlich!!! Ich liebe Grau und diese Reduziertheit ist ein Balsam für meine Seele!
Dein schöner Beitrag hat uns zurück in die Vergangenheit geführt, liebe Stefanie. Die Großmutter meines Skippers hat nämlich als Witwe viele Jahre in Christiansfeld im „Søstrehuset“ gelebt.
Es ist schon lange her, dass wir mal in Christiansfeld gewesen sind und ich hatte schon fast vergessen, wie schön es dort war (und wie lecker die honningkager sind). Lieben Dank für die Erinnerung!
Liebe Grüße zum ersten Advent, Martina ?
Das ist ja spannend, Martina. Ich könnte mir vorstellen, dass sich durch die UNESCO-Anerkennung eines verändert hat. (Vor allem mehr Besucher). Vielleicht macht Ihr ja mal einen kleinen Umweg auf dem Weg zum Elbkind, um zu gucken. Ganz liebe Grüße, Stefanie
Sehr entspannend, wie so vieles in DK!
Wie erholsam doch die Reduktion auf einen wirkt! Ein sehr schöner Tipp!
Dein Bericht und die Fotos machen wirklich Lust auf einen Besuch – selbst zu dieser Jahreszeit! Oder gerade – wenn man das so zurückhaltend-stilvoll geschmückte Christiandsfeld nimmt. Bei Heijlsminde ist es vor allem die traumhafte Lage und die Attraktivität, die in dieser Schlichtheit und Natürlichkeit liegt.
LG Michèle
Grau kann so schön sein!
„Zu viel Make up aufgetragen“: Was für eine schöne Beschreibung für die Landlust-Dörfer und -Orte, Und ein sehr schöner Beitrag über Christiansfelde, das ich vor einem Jahr ebenfalls besucht habe. Die stille Reduktion auf das Wesentliche hat mich begeistert. Was für ein wunderbarer Ort.
Wunderbarer Artikel, aber minde = Erinnerung, also nicht Mündung
Hahaha, lieber Hubert – das ist ja ein schöner Fehler von mir gewesen. Vielen Dank für die Korrektur. Erinnerung klingt eigentlich noch besser. Liebe Grüße, Stefanie
Wie schön — mein ödes Dänemark ! Lg Gitta
Mein auch 🙂
Lieben Gruß zurück!