Allgemein, Neulich im Norden, Norddeutschland, Schleswig-Holstein, Wandern
Kommentare 23

Neulich in Haithabu: Runde um´s Haddebyer Noor

Haithabu

Neulich in Haithabu fragte ich mich zum wiederholten Male, ob Dänen generell interessierter sind als Deutsche. Es ist mir im nördlichen Schleswig-Holstein schon häufiger aufgefallen. Wo immer Kunst oder Kultur dransteht, tumeln sich überproportional viele Dänen. So schienen mir auch die dänischen Kennzeichen auf dem Parkplatz des Wikingermuseums von Haithabu klar in der Überzahl. Und das obwohl es nicht einmal 6 Mio Dänen gibt und von den 83 Mio Deutschen echt viele Herbstferien hatten und Schleswig-Holstein nahezu ausgebucht war. Das hat ich einige Tage zuvor im Radio gehört.

 

Haithabu und die Wikinger

 

Während ich vom Parkplatz zum Museum taperte, fragte ich mich, woran das wohl liegt. Ich bin ziemlich prädestiniert, diese Frage zu beantworten. Immerhin wuchs gar nicht weit entfernt auf, blogge und schreibe Bücher über Norddeutschland. Und ich sehe mich selbst gern als nicht vollkommen desinteressiert an Geschichte. Dennoch hatte mich noch nie etwas nach heiðabyr gezogen, die »Siedlung auf der Heide«, die sich zum wichtigsten Handelsort der Wikinger in ganz Europa entwickelte und heute zum Unesco-Welterbe zählt.

 

Heidabyr

 

Schon auf dem Weg zum Museum verlor ich den Faden. Es war ein wunderbarer Herbstmorgen, sehr diesig aber mit deutlichem Sonnenversprechen. Die Luft duftete schwer, nach Regen und Wald. Ein Wegweiser schickte mich am Museum vorbei auf einen sandigen Pfad Richtung Wikinger-Siedlung. Die rekonstruierten Häuser stehen im Inneren eines historischen Ringwalls am Haddebyer Noor.

 

Haddebyer Noor

 

Noore sind von einem größeren Gewässer beinah abgetrennte Bereiche. Woanders sagt man Haff oder Strandsee. In Südschleswig, also der Landschaft zwischen Flensburg und dem Nord-Ostsee-Kanal bzw. der Eider, erinnern aber noch viele Begrifflichkeiten daran, dass die Gegend bis 1864 nicht zum Römisch-Deutschen Reich gehörte. Sondern zum Dänischen Gesamtstaat. Unter seinem Dach versammelten sich auch Norweger, Isländer, Färinger, Sami, Inuit und natürlich jede Menge Wikinger.

 

Ringwall Haithabu

 

Wikinger fand ich schon als Kind toll. Nicht zuletzt wegen Wickie aus Flake. Der Sohn des Wikingerhäuptlings Halvar funktioniert seit Ewigkeiten als einer der großen Helden der Kindheit. Bully Herwigs Kinofilme gehören zu den teuersten und erfolgreichsten deutschen Produktionen überhaupt. »Mein« Wickie, bei dem es sich nur um eine eher lieblose, japanische Comicfigur aus den Siebzigern handelt, hat meine Phantasie aber genauso angeregt.

Wikingersiedlung

 

Wer noch älter ist als ich, hat Wickie im Radio gehört, gesprochen vom jungen Marius Müller-Westernhagen. Und zuvor eroberte das Buch „Wickie und die starken Männer“ Deutschland im Sturm. Autor Runer Jonsson konnte in seiner Heimat Schweden nicht ansatzweise die gleichen Erfolge feiern. Irgendetwas an dem ängstlichen aber schlauen Jungen, der am liebsten mit einem Mädchen (Ylvi ♥!) spielt, trifft vielleicht besonders gut das deutsche Gemüt.

 

Wikingerhaus

 

Jenseits der rekonstruierten Wikingerhäuser ist der Rundwanderung um´s Haddebyer Noor bestens ausgeschildert. Ein kleiner Abstecher führt zum ersten Runenstein. Die beschrifteten Felsbrocken wurden im 10. Jahrhundert gesetzt, um an bedeutende Männer zu erinnern. Bei den Steinen auf den Freiflächen von Haithabu handelt es sich um Repliken. Die Originale befinden sich im Musuem. Aber die Nachbildungen haben in der Natur schon eine sehr besondere Wirkung.

 

 

Am tollsten ist der Stein, den Asfrid ihrem Sohn Sigtrygg aufstellen ließ, gleich bei der Noorbrücke zwischen Haddebyer und Selker Noor. Dort treffen sich zwei schmale Landzungen, die eine ein Schilfmeer, die andere sandig und der Blick geht in alle Richtungen weit. Vielleicht sogar bis Torfmoorholm, der fiktiven Geburtsstätte der Band Torfrock, die ich etwa so lange kenne, wie Wicki. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, es war Torfstechermeister Adula Zech, der den Text von »Rollo, dem Wikinger« auf einem Runenstein in Torfmoorholm fand.

 

Torfmoorholm liegt in Norddeutschland

 

Torfrock textete – ein Novum in den 70er Jahren – auf missingsch. Also, dieses Ohnsorg-Theater-Platt, das auch Süddeutsche verstehen können. Damals war mir natürlich nicht klar, dass mich die Lieder so catchten, weil es Coverversionen von Chuck Berry (Oh Carola, siet letzte Nacht is dat um mi geschehn. Ick hev di inne Köök Krabben puuln sehn) oder Jimmi Hendrix (Hej Joe, sach ma, was has du da zu tun mit dein Colt inne Hand?) waren. Aber ich war nicht die Einzige in der Klasse, die jedes Wort der LP auswendig konnte.

 

Noor

 

Aus heutiger Sicht war Torfrock wohl nicht besonders kindgerecht. Es gab da ein paar Vokabeln, die wir gar nicht verstanden. Doch wir spürten durchaus, dass manche Textstellen von »Rollo, der Wikinger« irgendwie anzüglich waren. Es hielt uns nicht davon ab, ultralaut mitzuschmettern: »Schlach und Schlach: Wir saufen den Met, bis keiner mehr steht.« Ich war acht als ich das zum ersten Mal sang. Und ich glaubte noch eine ganze Weile, dass es sich um den Song eines Sängers namens Divi Kingas handelte.

Dann sind wir auf See und sing das
Lied von Divi Kingas die Wikingers.

Ein Mitglied der Band Torfrock wurde später zu einem der beiden Kläuse von Klaus und Klaus. Es ist durchaus möglich, dass das schlimmste Gesangsduos aller Zeiten, zuständig für den allerschlimmsten aller norddeutschen Songs (An der Nordseeküste), mich beeinflußt hat. Denn lange Jahre stellte ich mir Urlaub an der Nordsee wie eine unendliche Übertragung des ZDF-Fernsehgartens bei schlechtem Wetter vor.

 

Haithabu

 

Überhaupt habe ich sehr viele und sehr hartnäckige Vorurteile über meine Heimat kultiviert, dachte ich, als ich nun auf der anderen Uferseite aufstieg. Der Wanderweg mäandert hier erhöht durch meist dicht bewaldetes Gebiet. Aussichtspunkte mit Ruhebänken, Pfade zu kleinen Badestellen und ein ewiges Auf- und Ab halten die Sache aber spannend. Hätte mir jemand mal vorher gesagt, wie traumhaft schön es rund um Haithabu ist, wäre ich schon längst hier gewesen.

 

Wanderweg Haithabu

 

Tatsächlich musste ich erst nach Norwegen reisen, um Lust auf den Ausflug zu entwickeln. Das geschah auf Karmøy, meinen persönlichen Highlight in Südnorwegen und Krönungssitz des ersten Wikingerkönigs (ich zeig die Insel demnächst mal). Und wenn ich seitdem eines über Wikinger gelernt habe, dann, dass sie ein irres Händchen dafür hatten, sich an den schönsten Spots niederzulassen.

 

 

Tipps & Links

Die Wanderung um´s Haddebyer Noor ist etwa 6,5 km lang. Nimmt man das Selker Noor dazu, werden es 9 km. Hier gibt es die Karte für beide Touren als PDF.

Die letzten 1,5 km stellen phonetisch eine kleine Dursstrecke dar, denn es geht entlang der viel befahrenen B76. Die Blick auf die Schlei und Schleswig macht´s aber wieder wett. Am Ende erreicht man das sehr empfehlenswerte Restaurant Odins Haddeby. Toller Mittagstisch!

Direkt gegenüber des Restaurants befindet sich übrigens ein Grund, warum so viele Dänen nach Haitabu kommen: die Kirche des Erzbischofs Ansgar, der den Beinamen »Apostel des Nordens« trug, gilt als erste Kirche Dänemarks.

Wer länger als beschrieben wandern will, kann auch noch das Danewerk einbauen. Der historische Verteidigungswall wurde zusammen mit dem Wikinger-Mususem Haithabu in das Unesco Welterbe aufgenommen. Mir wäre beides auf einmal zu viel gewesen.

23 Kommentare

  1. Juliane Jantosch sagt

    Vielleicht bist Du ja doch nur halb eine Hamburger Deern und ansonsten ein Schlei-Mädchen?

  2. Beate sagt

    Sehr schöner Artikel! Die Wikinger Siedlung ist interessant, auch gut für Familien mit Kindern als Ausflugsziel geeignet. Und dann zur Stärkung ins Restaurant Odin, in dem nur regionale Produkte verarbeitet werden.

  3. Barbara sagt

    Ja, die Wikinger hatten wirklich Talent, sich schöne Stellen zum Siedeln zu suchen! Ich weiß nicht wie oft ich ums Noor gewandert bin, schließlich habe ich 30 Jahre nur 7 km entfernt gewohnt.
    Eine dieser Wanderungen ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: mit einem frisch kennengelernten potentiellen neuen Partner, der sich als „Doppelniete“ herausstellte. Und wenn man erst mal auf dem Weg ist und nicht total unhöflich sein möchte, muss man „rum“ 😉 , was ja nach der Hälfte des Weges auch sinnvoll ist. So schnell wie zu dieser Gelegenheit bin ich nie wieder „gewandert“
    Die Erinnerung reizt mich immer noch zum Lachen.
    Aber sonst kann ich dir nur zustimmen, wunderbarer Weg und so schöne Ausblicke!
    Und das Essen bei Odins ist auch nicht zu verachten, ist glaube ich alles BIO, oder zumindest aus der Region (Feinheimisch)
    Liebe Grüße und weiter so schöne, mein Heimweh bedienende Berichte über SH
    Barbara

    • Hahahahah. (So nervig diese Single-Erlebnisse sind, während man drinsteckt – hinter ist man ja froh über die vielen Geschichten). Danke für für Deinen Kommentar und schönen Sonntag, Stefanie

  4. karl matthiesen sagt

    Danke für den wunderschönen Artikel.Wir waren vor 2Jahren in Haithabu.Waren auch im Wikinger Museum und natürlich bei Odin. Liebe Grüße Margrit und Karl

    • Die haben echt eine bewegte Geschichte. Ich las im Wiki, dass sie anfangs im Ernst-Deutsch-Theater arbeiteten. Schwer vorstellbar heute…

  5. Divi Kingas? Ich schmeiß‘ mich weg. Einfach nur herrlich, diese Missverständnisse! Davon hätte ich auch noch ein paar auf Lager. 😉

    Danke für Deinen schönen und sehr informativen Bericht. Ich kann übrigens bestätigen, was Du sagst über das kulturelle Interesse der Dänen. Ist mir auch schon des Öfteren aufgefallen.

    Liebe Sonntagsgrüße, Martina

  6. Moin, liebe Stefanie,
    hätte ichs gewusst, dass ihr das noch nicht wusstet, ich hätte Euch schon lange an diesen Ort gelotst. Immer wieder wunderbar. Jedes Jahr im Juni spielt dort auf der Freilichtbühne ein erstklassiges Laien-Theater Stücke mit geschichtlichem Hintergrund aus dem Wikinger-Reich. Sehr empfehlenswert.
    Das Noor wurde übrigens künstlich von der Schlei abgetrennt; 1882 entstand die Straße b76 und dafür wurde ein Damm aufgeschüttet, so entstanden die beiden Noore, die zuvor eine Bucht der Schlei waren.
    Es gibt noch ein ganz kleines Museum nördlich von Schleswig, in Idstedt. Es beschäftigt sich mit den dänisch-preußischen Kriegen um 1864. Leider kommen auch hier eher die Dänen. Selbst deutsche Schulklassen aus der Region interessieren sich nicht dafür.
    Und dann ist bei Haithabu noch das Dannewerk, die größte Wallanlage der Wikinger in Nordeuropa.
    Nächstes Jahr wird 100 Jahre deutsch-dänische Grenze gefeiert, auch die hat viel mit dem Krieg 1864 zu tun. Da lohnt es sich unbedingt, die Gegend Südschleswig und Nordschleswig sich näher anzuschauen 🙂
    So, genug zugetextet.
    Liebe Grüße
    Kai

  7. Moin Stefanie, ich war schon etwas älter, so um die 15 glaube ich, als ich alle Texte von Torfrock mit-gröhlen konnte. Und liebe sie heute noch. Ach, war dat scheun, is dat scheun 😉 Und Haithabu kenne ich auch noch nicht. Das werde ich ändern. Danke für den Tipp! Ulrike

    • Wird Dir gefallen, liebe Ulrike. Schleswig sowieso. Kennst Du denn Schloss Gottorf und den Barockgarten? Falls nicht: das ist genau Dein Ding, glaube ich. Grüße an die Nordsee und immer hübsch halblang, Stefanie

  8. Also bei uns wird Torfrock schon von Vierjährigen leidenschaftlich mitgesungen – und klar, alles verstehen tut er nicht. Aber lange Autofahrten mit Kindern und Torfrockliedern: das geht immer 🙂

  9. rebeccalecka sagt

    Das ist genau mein Ding! Sobald ich das Weihnachtsgeschäft hinter mich gebracht habe, geht es wieder „on Tour“ und die Tour kommt man gleich „on the Top“!! Vielen Dank für die Karte zum Nachwandern. Eine seensuchtsvolle Hamburger Deern 🙂

    • Liebe Rebecca, ach, ja, sehnsuchtsvoll und seensuchtsvoll und seesuchtsvoll. Wobei die Lichter der Großstadt im grauen November ja auch etwas Tröstliches haben: in diesem Sinne wünsche ich Dir erst einmal ein Top-Weihnachtsgeschäft. Und liebe Grüße, Stefanie

  10. Moin Stefanie,
    danke für den interessanten Bericht mit den tollen Fotos und die Tipps.
    Das Wikinger-Museum im kommenden Jahr zu besuchen, habe ich mir fest vorgenommen. Als begeisterter Leser des Buches „Die Abenteuer des Röde Orm“ von Frans G. Bengtsson stand dieses Vorhaben schon lange auf meiner Agenda.
    Liebe Grüße aus dem Alten Land
    Fred

    • Lieber Fred, das habe ich gleich gegoogelt – Bücher liebe ich ja. Und siehe: Deine Bücher dienten als Vorlage für Wickie und die starken Männer. Dann musst Du natürlich dringend nächsten Sommer noch Haithabu. Und ich behalte das mal im Hinterkopf für den nächsten Besuch in der Bücherei. Liebe Grüße und ein schönes Wochenende, Stefanie

Du hast was zum Thema beizutragen? Darüber freue ich mich sehr.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.