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Der Wind auf den Wegen & andere Gründe zu wandern

Ostsee

Eine Wanderung von Eckernförde nach Kiel reißen Profis in einem Tag ab und sind hinterher vollkommen erledigt. Gelegenheitsgeher genießen sie als zweitägiges Mikroabteuer. Die Rundrum-sorglos-Strecke eignet sich auch hervorragend für Neueinsteiger.

 

Eckernfoerder Bucht

Eckernfoerde liegt am Ende der Eckernfoerder Bucht. Der Fernwanderweg E1 begleitet das Suedufer des bis zu 10 km breiten und 17 km langen Meeresarms. Also Badesachen und Sonnencreme nicht vergessen.

 

Los geht´s in Eckernförde, einem der irritierend wenigen Ostseebäder, das an die Bahn angeschlossen ist. Aus dem Zug herausgehopst, fällt direkt am ersten Verkehrsschild ein schwarzer Aufkleber mit weißem Kreuz ins Auge. Das Andreaskreuz markiert den Fernwanderweg E1, der von Flensburg nach Konstanz führt. (Falls einem der Aufkleber nicht ins Auge fällt, geht man einfach an den Strand und achtet für den Rest des Tages darauf, in seiner Nähe zu bleiben).

 

Tag 1: von Eckernförde nach Krusendorf – 20 km

 

Immer am Wasser entlang zu wandern, ist nicht schlecht. Da das innere Ende der Eckernförder Bucht von einer vielbefahrenen Straße begleitet wird, fällt es zunächst noch schwer, die Naturschönheit wirklich wahrzunehmen. Doch nach 4 km steigt der Weg die Steilküste hinauf und in die Stille des Begräbniswaldes Küstenfrieden ein. Auf den Bänken eines kleinen Andachtsplatzes lässt sich unter uralten Buchen und mit Blick auf die Bucht endlich aufatmen, ankommen auf dieser Wanderung und die ewige Frage durchdenken: Warum mache ich das eigentlich?

 

 

Es gibt ja viele Gründe zu wandern. Die einen wandern aus einem Fitnessgedanken heraus, die anderen möchten einen Wanderpass mit Stempeln füllen oder die Gegend erkunden. Es gibt Sportwandern, Bergwandern, Volkswandern, Weitwandern, Querfeldein-Wandern (cooleres Wording: Trekking), Protestwandern, Spirituelles Wandern, kulturelles Wandern, Pilgern, Nachtwandern, sogar Nacktwandern (etwa auf dem Harzer Naturistenstieg und dem Naturistenweg in der Heide). Aber das ist zwischen Eckernförde und Krusendorf nur auf kürzeren Abschnitten erlaubt.

 

Warum Wandern glücklich macht: eine persönliche Sache

 

Ich persönlich empfinde Wanderwege als Korridore, geschützte Räume, die mich für eine kurze Dauer vollkommen von der realen Welt abschirmen. Ich bin vollauf damit beschäftigt durchzuhalten, den Weg nicht zu verlieren, nach einer Einkehrmöglichkeit Ausschau zu halten (oder einer Toilette). Also rein existenzielle Dinge.

Ist die Natur dazu auch noch herrlich, gerate ich früher oder später in diesen Flow der Romantiker. Sie waren es, die im ausgehenden 18. Jahrhundert das zweckfreie Wandern in der Landschaft populär machten. Zweckfrei! Fantastisches Wort, das in meinem Leben normalerweise zu kurz kommt. Darum wandere ich also. Am liebsten in der Nähe.

 

 

So wie Caspar David Friedrich sein Innerstes im Elbsandsteingebirge oder den Kreidefelsen von Rügen gespiegelt empfand, ist meine Seelenlandschaft Schleswig-Holstein. Es ist nur ein kleines Bundesland, verglichen mit dem Rest der Welt nicht überwältigend oder spektakulär, dafür aber (zwar nicht überall, doch stellenweise umso mehr) auf gerade die richtige (manchmal schräge) Weise bezaubernd. Für mich.

 

Ich sehnte mich nach dem Wind auf den Wegen

 

Meine liebsten Wanderwege sind die, auf denen über Stunden wirklich gar kein Motorengebrumm nervt. Das ist mir eine derartige Wohltat. Besonders nach arbeitsreichen Phasen. Dass ich gestresst bin, merke ich in der Regel zuerst an einer Lärmempfindlichkeit. Wer auditiv tickt, erlebt den E1 zwischen Eckernförde und Kiel als einziges innerliches Aufatmen. Wellenschlag und Blätterrauschen sind über weite Strecken die lautesten Geräusche.

 

 

Nach nunmehr acht Kilometern läutet die Aschauer Lagune eine in Schleswig-Holstein sehr seltene Sache ein: Ostseestrände, die trotz Sommerferien nicht hoffnungslos überlaufen sind.

 

Lindhoeft

 

Was den Bayern die Berge, ist den Norddeutschen der Strand. Wer mal länger durch Sand gestapft ist, weiß um die Anstrengung. Deshalb bieten sich auch nicht unbedingt schwere Bergsteigerstiefel an. Mit denen versinkt man zu tief. Mir scheinen Turnschuhe ideal. Da läuft es sich leichtfüßig am Meeressaum und über Wackersteinen gleichermaßen. Für etwa 3 km wechseln nun Sandstrände mit Steinstränden.

 

 

Was man sonst noch braucht? Eine Regenjacke und eine Hose, die schnell trocknet. Also keine Jeans. Wichtig ist ein guter Rucksack. Wer keinen hat, kennt wahrscheinlich jemanden mit tip-top-Outdoor-Ausstattung, die so gut wie nie zum Einsatz kommt. Solche Menschen freuen sich, wenn sie ihr überflüssiges Zeugs jedenfalls mal verleihen können. Was man nicht braucht, ist eine Wanderkarte.

 

Equipment-Tipp für Neueinsteiger: Weniger ist Meer

 

Wer (noch) nicht wandert, kennt vielleicht gar nicht das geheime Wegenetz, das die Welt durchzieht. Jedenfalls ging mir das so, bevor ich (ganz klassisch) auf dem Jakobsweg zum Wandern fand. Die Zeichen der Paralellwelt kleben an Ampeln und Laternenpfählen, sind an Baumstämme oder auf Findlinge gepinselt. Der E1 ist auf diesem Abschnitt sehr gut ausgeschildert. Die einzige knifflige Stelle liegt etwa bei KM 13.

 

 

Man kann den Findling mit dem Andreaskreuz a) leicht übersehen und b) für einen Scherz halten, weist er doch die Böschung hinauf. Aber nicht verzweifeln. Einige hundert Meter weiter schlängelt sich ein Pfad hoch in den Hegenwohld. Wer ihn findet, durchquert einen Buchenwald und dann das Dorf Nöhr, das wenig dörflich wirkt, sondern wie eine Vorstadt-Siedlung aus den 1980er Jahren.

Wo Schleswig-Holstein noch nicht überlaufen ist, ist es oft auch ein bisschen spießig. Ich mag das. Vermutlich weil es mich an meine Kindheit erinnert. Ganz typisch sind Grundstücke, die so aussehen, als würden sie täglich mit Seifenlauge und Staubsauger gereinigt. Die Autorin Dörthe Hansen beschreibt in „Altes Land“ das norddeutsche Garten-Ideal äußerst treffend mit: „Dat mutt allns schier“.

Ich erwähne es, weil ich es irgendwie witzig fand, dass am Dorfausgang eine kunterbunte Bienenweide angelegt wurde. Tolle Sache. Wunderschön anzusehen. Aber den gleichen Effekt hätten ja auch wildere Gärten. Sei´s drum. Der Weg führt nun wieder am Strand weiter.

 

Noehr

 

Noch so eine Sache, die sich in Schleswig-Holstein nur zögerlich ändert, ist das gastronomische Angebot am Strand. Der dort mit Sicherheit am häufigsten geführte Dialog lautet:

„Was soll denn drauf?“
„Beides“

Zwischen Eckernförde und Krusendorf kann man das Gespräch jedoch selten führen. Die Kneipe Seerose auf dem Campingplatz Lindhöft öffnet am Wochenende mittags, Mo und Di gar nicht und ansonsten erst um 17 Uhr. Das Blockhaus auf dem Campingplatz von Nöhr ist sogar fast nie geöffnet. Und mehr Lokalitäten gibts entlang des Weges nicht.

 

Noehr

Wo nichts ist, kann man auch nichts kaufen

 

Es ist es auf dieser Wanderung also wirklich sehr wichtig, genügend Wasser mitzunehmen. Ein Snack (Riegel, Apfel) kann auch nicht schaden. Die erste verlässliche Einkehrmöglichkeit bietet nach knapp 17 km der Campingplatz Gröhnwold.

 

Ostseewolken

 

Die wirklich nette Windbar ist durchaus auch mal einen Besuch ganz ohne Wanderung wert. So wie der Campingplatz (mit einigen Glamping-Unterkünften) ein schönes Ziel für Familien ist. Kinder finden hier nicht nur tolle Spielmöglichkeiten, sondern können auch Kiten lernen, SUP oder Surfen. Sonntags finden kostenlose Schnupperkurse statt.

 

 

Wer meinem Übernachtungstipp folgt, mag sich vielleicht noch ein Strandpicknick im kleinen Laden zusammenstellen und eine ausgedehnte Pause einlegen. Denn danach wäre erst einmal Schluß mit Ostsee. Bis zum nächsten Morgen.

Eine der ganz, ganz wenigen, also wirklich ganz wenigen, Unterkünfte, die sich in diesem Dreh für Wanderer eignen, liegt 3,5 km ins Land hinein. Der Weg steigt sanft an, so dass man von einigen Zimmern im  Peanuts Hostel & Meer das Meer sogar noch sehen kann.

 

Übernachtungstipp: das Independant Hostel Peanuts & Meer

 

Independant Hostels kannte ich bisher nur aus Irland und dem UK. Die klassischen Backpacker-Unterkünfte zeichnen sich durch günstige Preise und lockere Atmosphäre aus. Das Peanuts Hostel & Meer befindet sich in einem Einfamilienhaus aus den 1970er Jahren im Nirgendwo. Die Zimmer sind liebevoll-lässig renoviert und ausgestattet.

Eine kleine Auswahl an Getränken, Snacks, Frühstückskörbchen (Kaffee und Tee gehen aufs Haus) oder Fertiggerichte können vor Ort gekauft und in der Gemeinschaftsküche zubereitet werden. Mitgebrachtes natürlich auch. Vielleicht findet sich sogar etwas unter den Lebensmitteln, die vorherige Gäste zurückgelassen haben. Landlady Silke verwahrt sie zur allgemeinen, kostenlosen Verwendung. Was ich großartig finde. Nicht aus Geiz, sondern weil nichts weggeschmissen wird, was noch gut ist.

 

 

Wer lieber auswärts essen möchte, schnappt sich ein (kostenloses) Fahrrad und radelt zum Gasthof in Krusendorf. Laut Silke ist das durchaus zu empfehlen. Zusatzplus: der Wirt spendiert in der Regel einen Schnaps, damit man den Rückweg gut findet.

Ich ließ es sein, denn im Garten des Hostels finden sich verschiedene verschwiegene Plätzchen, wo die Sonne scheint, bis sie untergeht. Also, wenn sie scheint.

Dafür gibt es ja in diesem Sommer keine Garantie. Und wenn ich meine Gründe zu wandern in Reihenfolge bringen sollte, dann wäre das vielleicht der Wichtigste:

Beim Wandern ist das typisch norddeutsche Jacke-an-Jacke-aus-Wetter gar nicht misslich, sondern angenehm. Bis zu einem gewissen Grad jedenfalls. Davon und vom zweiten Wandertag dann nächstes Mal mehr.

 

 

Fakten, Fakten, Fakten: Wanderung von Eckernförde nach Krusendorf

 

Distanz: Vom Bahnhof Eckernförde bis zum Hostel Peanuts & Meer gut 20 km

Gehzeit: 5 Std. zzgl. Pausen, Baden, aufs Meer gucken

Offizielle Homepage des E1: Die Etappe führt offiziell bis Dänisch-Nienhof und ist dann 23,5 km lang. Dramaturgisch gefällt mir meine Variante besser.

Unterkunft: Hostel Peanuts & Meer. Eignet sich übrigens auch bestens für eine spontane Auszeit und zum Kennenlernen der Gemeinde Schwedeneck (die aus unterschiedlichsten Gründen auf jede norddeutsche Bucket-List gehört. Warum, werde ich nächste Woche erzählen.)

Weitergehen: Krusendorf – Kiel (wo Silke ein weiteres Peanuts Hostel führt)

9 Kommentare

  1. Das ist ja eine wirklich schöne Wanderroute! Ich liebe die Gegend auch sehr, ebenso wie das Wandern. Das was du beschreibst kann ich total nachempfinden. Zu Fuß gehen entspricht ja eigentlich dem natürlichen Tempo des Menschen. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass es einem beim Wandern sogar ganz nebenbei gelingt, im Hier und Jetzt anzukommen – völlig zweckbefreit sozusagen ? Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht!
    Liebe Grüße von Andrea
    P.S. Von dem Naturistenpfad im Harz habe ich auch schon mal gehört. In einer Facebookgruppe hat mal einer gefragt, wer Lust hat, ihn zu einer Nacktwanderung auf den Brocken zu begleiten. Viele haben sich gemeldet, „ja, klingt intereressant“. Bis der erste kapiert hat, dass da nicht Nacht- sondern Nacktwanderung stand, woraufhin dann alle wieder (ähem, ich kann doch nicht…) abgesprungen sind 😉

    • Das ist ja hochkomisch (auch schräg, dass einer über facebook Nacktwanderpartner sucht). Eigentlich schätze ich am Wandern sehr, dass man so viel mehr sieht als normalerweise. Unter Naturisten allerdings… mmmh.

  2. Deine Wanderbeschreibung und die schönen Fotos vermitteln einen quasi plastischen Eindruck von dieser Wanderung. Irgendwann will ich da auch mal hin! Aber es gibt noch so viel in meiner Nähe zu erwandern … Gut, dass man wenigstens elektronisch im Norden mitwandern kann 😉

  3. Wow, das klingt fantastisch. Ich bin kein Wandertyp, aber da bekomme ich fast Lust zu wandern 😉 Vor allem wie Du die Stille und Ruhe beschreibst…..wundervoll. Danke

  4. Wie sagte schon Goethe? „Nur wo Du zu Fuß warst, bist Du auch wirklich gewesen.“ Zweckfrei, das Wort ist prima und das mit dem Lärm kann ich total nachvollziehen. Wanderwege, einsam, nur die Geräusche von Natur, den Wind in den Haaren und der Blick in die Weite… Ach… ?

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