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Pilgern in Hamburg (hier: für Anfänger)

Hamburg

Ich gehe so gern. Ich gehe mir den Kopf frei, denke ich manchmal. Doch immer wenn ich das Gehen ganz besonders nötig habe, nämlich in Phasen größten Arbeitsaufkommens, tue ich mich unheimlich schwer loszugehen.

 

Statt einfach loszugehen, führe ich ellenlange Dialoge mit mir selbst. Ob ich wirklich losgehen sollte, wann ich wirklich losgehen sollte und wohin ich losgehen sollte. Oder eben auch nicht.

 

Zur Zeit habe ich wieder so eine Phase am Wickel. 2 Monate hatte ich viel zu viel zu tun, aber nun wird es langsam entspannter. Noch 2 Wochen – dann ist das Drama vorbei. Ich könnte also den Fuß ein bisschen vom Gas nehmen. Und auch mal ein paar Stunden planlos durch die Gegend schlendern. Aber wie gesagt: Ich tue mich schwer. Wie ein Vogel, der zunächst im Käfig sitzenbleibt, wenn die Tür geöffnet wird.

 

Da traf es sich ganz gut, dass ich vor einigen Tagen von einem Pilgerweg erfuhr, der durch den Hamburger Stadtpark führt. Pilgerwege haben klare Bedingungen; eine bestimmte Länge, eine Wegführung, erfordern als keine große Freigeisterei.

 

Trinkhalle Hamburg

Bei der Trinkhalle beginnt der Pilgerweg durch den Hamburger Stadtpark

 

Das werde ich ja wohl noch hinkriegen, dachte ich heute morgen. Zumal der Pilgerweg in der Trinkhalle beginnt, die ich schon ewig mal testen wollte (seit ich sie bei Maren gesehen habe). Dort würde ich mein Frühstück einnehmen, nahm ich mir vor; was dem Ganzen auch noch einen effizienten Anstrich verlieh.

 

Kurz vor zehn saß ich in der Bahn. Ich hatte eigentlich früher losgehen wollen. Aber dann waren mir wieder etliche hyperwichtige Dinge eingefallen, die ich noch vorher erledigen musste (die ehrlich gesagt gar nicht besonders dringlich waren).

 

Kaum fuhr die Bahn los, durchzuckte mich die Frage, ob meine Fenster etwa noch „auf Kipp“ standen. Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, sie geschlossen zu haben. Etwas, das mir so gut wie nie passiert, weil ich eine crazy Katzenlady bin (von der permanenten Angst beherrscht, meine Katzen könnten aus dem Fenster fallen oder sich sonstwie verletzen.)

 

Dass ich mich nicht erinnern konnte, machte mir noch mal ganz deutlich, wie unbewusst ich derzeit agiere. Umso wichtiger mein heutiges Pilgern. Aber erst musste ich mit der Unsicherheit aufräumen.

 

Also stieg ich an der nächsten Station stieg aus und fuhr zurück, um mich von den geschlossenen Fenstern zu überzeugen (selbstverständlich waren sie geschlossen).

Dann ging ich wieder zur Bahn und hielt die Fahrt bis zum Borgweg 1a durch.

 

Stadtpark Hamburg

 

Weil ich im Moment aber nicht nur unbewusst sondern auch unkonzentriert bin, hatte ich was die Öffnungszeiten der Trinkhalle betrifft nicht richtig nachgeschaut. Das Café öffnet in der Woche erst um 11.00 Uhr. Frühstück fiel also aus. Aber immerhin war schon jemand da, der mir den Pilgerplan aushändigte.

 

Station 2 bereits im Blick saß ich fünf Minuten in der Sonne und freute mich. Bis ein rotes Lämpchen an der Kamera mir zeigte, dass mein Akku nahezu leer war. Ich hätte natürlich trotzdem losgehen können. Pilgern und fotografieren gehören ja nicht zwingend zusammen. Doch ich wollte nicht. Ich hatte mir das anders vorgestellt.

 

Unbewusst, unkonzentriert, unachtsam und unflexibel, wie ich war, brach ich ab und setzte  mich zum vierten Mal innerhalb einer Stunde in die U3.

 

Pilgern in Hamburg

 

Als ich zuhause eintraf, war ich ein bisschen genervt, aber nicht übermäßig. In der Bahn hatte ich in der kleinen Pilgerbroschüre ein Zitat vom Kirchgelehrten und Philosophen Aurelius Augustinus entdeckt.

 

Das unruhige Herz ist die Wurzel der Pilgerschaft. Im Menschen lebt die Sehnsucht, die ihn hinaustreibt aus dem Einerlei des Alltags und aus der Enge seiner gewohnten Umgebung. Immer lockt ihn das Andere, das Fremde. Doch alles Neue, das er unterwegs sieht und erlebt, kann ihn niemals ganz erfüllen. Seine Sehnsucht ist größer.

 

Und da sieht man mal, dass auch Philosophen irren. Bei mir ist es nämlich genau umgekehrt. Ich brauche nicht unbedingt das Andere, das Fremde, das Neue. Im Gegenteil. Mein Herz ist unruhig, wenn ich nicht im Norden bin. Gerade jetzt im Frühling würde ich am liebsten nur hier sein.

 

 

Ich kann durchaus andere Gegenden schön finden. Ich sehe sehr genau, wenn Städte nicht so glattgebügelt sind wie Hamburg; ich schätze ihre spannenden Ecken. (Wie in Magdeburg. Bilder oben.) Und ich sehe auch wenn etwas aufregender ist als Hamburg und größer und irgendwie wesentlicher (Wie Berlin. Bilder unten). Aber ich sehne mich immer nordwärts.

 

 

Aurelius irrt, wenn er meint, ein Ort könne einen nicht erfüllen. (Er meint, wir suchen nicht nach einem Ort sondern nach Gott.) Doch ich kenne ganz viele Orte, die mich erfüllen. Massenweise davon liegen in meiner allernächsten Nähe. An einem lebe ich sogar.

 

Das alles notierte ich, während mein Akku auflud. Und dann ging ich raus. Denn wenn gar nichts anderes geht, gehen immer noch die Landungsbrücken. Ihre schwankenden Pontons sind mein fester Boden.

 

Hafen Hamburg

 

Als ich später sehr konzentriert, bewusst und achtsam meinen Großen Rickmer Rickmers Salat verspeiste, dachte ich, dass Pilgern doch eine feine Sache ist. Schon 100 Meter reichen aus, damit man sich wieder bewusst wird. Zum Beispiel darüber wie froh man über sein Zuhause ist .

 

PS.: Falls jemand ganz enttäuscht ist, weil ich kaum was über den Pilgerweg geschrieben habe, keine Angst, das mache ich morgen. Ganz sicher.

 

Gabi Glitscher

17 Kommentare

  1. „Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.“ (Laotse) Mit dir gehe ich am liebsten pilgern, liebe Stephanie, selbst wenn wir erstmal nur bis zum Borgweg oder an die Landungsbrücken kommen. Auf die Fortsetzung freue ich mich ntaürlich trotzdem.

  2. Eine Pilgerwanderung (fast) ohne Pilgern, mit der sich ein ganzer Pilgertag füllen lässt. Und das Schönste: Es ist noch genug zum Entdecken für das nächste Mal da. Das ist doch auch nicht schlecht 🙂

  3. HannoverblickOst sagt

    Ich denke sich zu finden ist eines der Hauptgründe des Pilgerns und das fängt ja bekanntlich mit Einsichten an. 🙂 Nur zur Info: Der Spatz auf dem Bild ist ein Gartenrotschwanz oder Hausrotschwanz. Kann ich nicht so gut erkennen. Beide haben den rostroten Schwanz. Viel Spaß heute beim Pilgern. Ich bin gespannt! Lg Simone

    • Anjo sagt

      Also ich bin mir doch ziemlich sicher, dass der Magdeburger Spatz weder ein Gartenrotschwanz noch ein Hausrotschwanz ist. Bei diesem kleinen Puschel müsste es sich um ein Dompfaff-Männchen handeln (m.E.).
      Anjo

      • HannoverblickOst sagt

        Auch eine Option, aber dagegen spricht der nicht schwarze Scheitel und die recht zierliche Figur des Kleinen. Die Aufnahme ist einfach zu klein. Wie auch immer jedenfalls ein süßer Fratz in der Stadt 🙂

  4. Na, du machst es dir auch nicht einfach…..kommt mir sehr bekannt vor. 😉

    Wo kann man den ‚großen Rickmer Rickmers Salat‘ verspeisen? Empfehlenswert??

    Ich freue mich auf die heutige Fortsetzung, zumal ich nicht wusste, dass es in HH einen Pilgerweg gibt.

    LG Eva

    • Den „Großen Rickmer Rickmers Salat“ kann man auf der Rickmer Rickmers verspeisen 🙂

      Bzw zur Zeit auf der Sommerterasse gleich vorm Schiff. Gemessen am Landungsbrücken-Niveau finde ich ihn gut.
      (Gemessen an Deinen Kochkünsten ist er vermutlich nicht so gut).

      • meine Kochkünste liegen total auf Eis!! Ob du es glaubst oder nicht: ich mag nicht mehr kochen. – Und zuerst müssen eh mal die im letzten Jahr angefutterten Frustkilos wieder runter! 😉

  5. Liebe Stefanie,

    irgendwie kann ich das gut nachvollziehen. Manchmal ist das ganz schön erschreckend, was der Alltag mit einem macht.
    Deine Liebe zum Norden kann ich sehr gut verstehen. Erst am Wochenende hatte ich wieder so ein Schlüsselerlebnis. Ich liebte immer den Süden und wollte früher unbedingt dahin. Sobald ich Bilder von Spanien und Co. gesehen habe, brannte mein Herz. Mit den neuesten Bildern von vor ein paar Tagen blieb mein Herz unbeteiligt. Das nennt man wohl angekommen. 😉

    Ganz liebe Grüße,
    Claudia

    PS: Gekippte Fenster sind in der Tat der Tod jedes Stubentiegers. Als Kind musste ich diese Erfahrung leider mal machen. Es steckt noch heute in meinen Knochen.

    • Oh, nein, Claudia, echt?! Ich hab das mit den gekippten Fenstern schon oft gelesen, aber noch nie von jemandem persönlich gehört. Kann ich mir vorstellen, dass das in den Knochen steckt.Ich hab auch immer Katzen gehabt – aber früher wusste man irgendwie nicht so viel über die Haltung. Also, nicht nur weil wir Kindern waren. Sondern ganz allgemein. Gut, dass es heute anders ist. Liebe Grüße, Stefanie

  6. Hallo Stefanie,
    ich wusste garnicht, dass es in HH einen Pilgerweg gibt. Wobei mir ja ganz HH gefällt 🙂 und ich keinen speziellen Weg brauche. Am besten finde ich auch den Platz bei den Landungsbrücken und der Blick über die Elbe. Da kann kein Weg mithalten.
    Dir hat das „pilgern“ :-))) doch gut getan und somit hast du den Kopf frei bekommen. Das ist das wichtigste – egal ob man pilgert oder am Wasser sitzt. Wünsche dir noch viel Vergnügen auf deinen Wegen.
    Liebe Grüße
    Iris

    • Danke, danke, Iris. Der Pilgerweg ist erst 2 Jahre alt. Gestern bin ich ihn ja nun wirklich gegangen. Nicht schlecht (wobei die Elbe immer besser ist; das ist ja klar :-))

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