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Ich hatte einen Balkon vor den Ochseninseln: Glücksburg im Herbst

Strandhotel

Wir erreichten Glücksburg zeitgleich mit einem Wolkenbruch. Auf dem Förde-Boulevard hasteten die Leute zum nächsten Unterstand und im Strandhotel empfing uns gedämpftes Stimmengewirr. Männer in Anzügen schlängelten sich an Damen in Gummistiefeln vorbei. Hunde schüttelten sich den Regen aus dem Fell. Lobby und Restaurant waren bis auf den letzten Platz besetzt.

Es dauerte eine Weile, bis wir unsere Schlüsselkarte erhielten und mit dem Fahrstuhl in die Stille des 3. OGs entschwebten. Auf dem Boden neben unserer Zimmertür lagen zwei zusammengeknüllte Faschingskostüme. Die Tür stand halboffen. Drinnen wurde noch allerletzte Hand angelegt.

Als die Dame vom Housekeeping uns bemerkte, rief sie „ach, herrjeh“ und bat dann überschwänglich – jedoch nicht servil – um Entschuldigung. Das Hotel sei zwei Tage komplett von einer Hochzeitgesellschaft belegt gewesen. „Sie können sich gar nicht vorstellen, was hier alles los war.“

 

Kissen

 

Und ich dachte: „das können Sie zweimal sagen.“ Denn wer kann sich schon vorstellen, was in diesem Haus alles los war, seit 1872 eine Gruppe von 80 Aktionären ein Curhaus mit 6 Gästezimmern am Strand von Sandwig errichten ließ.

 

Das weiße Schloss am Meer: Strandhotel Glücksburg

 

Wer kann sich die Säle und Salons vorstellen, in denen nach der Erweiterung rauschende Feste gefeiert wurden? Das Badehaus und die Badekarren? Wer kann sich die Sommergäste vorstellen, die mit dem Dampfer anreisten und gern mehrere Wochen blieben? Oder dass Kaiser Wilhelm II und Kaiserin Auguste Victoria mit ihrer Yacht „Hohenzollern“ am Anleger festmachten? Und dann den großen Brand, der das Hotel 1912 vollkommen zerstörte?

 

Strandhotel Gluecksburg

 

Die Wiedereröffnung fand 1914 unter dem Namen Kurhotel statt. Ob sich die illustren Gäste aus München, Hamburg und Berlin (etwa Thomas Mann und sein Verleger Samuel Fischer) wohl vorstellen konnten, dass ihre Sommerfrische sich bald in ein Lazarett verwandeln würde? Dass zum Ende des zweiten Weltkrieges 220 Flüchtlinge hier Unterkunft finden sollten? Später eine Kinderheilstätte, dann ein Mutter-und-Kind-Erholungsheim der evangelischen Kirche? Wie könnte man sich so etwas je vorstellen?

 

Balkon Strandhotel

 

Im Jahr 2000 wurde das Traditionshaus wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Doch erst als es in dänischen Besitz wechselte, erhielt es den heutigen fluffig Skandinavienlook, leicht wie ein Sommerbrise. Jedes Zimmer ist anders gestaltet. Jedes etwas ganz Besonderes. Und während ich unseren hellblau-weißen Traumsalon inspizierte, pustete der Wind die Wolken zur Seite.

 

Glücklich in Glücksburg: Dänemark vorm Balkon

 

Nein, natürlich, es muss nicht immer Kaviar sein. Aber hin und wieder (und zwar so selten, dass man es auch wirklich als etwas Besonderes zu schätzen weiß) geht doch nichts über einen windgeschützten Balkon mit Blick auf Dänemark (und die Ochseninseln).

 

Sandvig

von vorn nach hinten: Strandkoebe, Seebruecke, Ochseninseln, DK

 

Glücksburg ist die nördlichste Stadt Deutschlands, fühlt sich aber südlicher an. An wolkenlosen, heißen Hochsommertagen haben wir uns hier schon an Südfrankreich erinnert. Das mag am bekannten Wasserschloss im Stil der Renaissance liegen und den großzügigen Grundstücken in Höhenlage.

 

 

Vor allem aber ist es dieses speziellen Leuchten der Flensburger Förde (von der die Flensburger übrigens behaupten, sie sei die schönste Förde der Welt).

 

Yachthafen

 

Im Herbst fühlt sich Glücksburg zwar nicht unbedingt an wie Nizza. Aber das mit der schönsten Förde der Welt kann schon sein. Wer es genau wissen will, müsste den Fördesteig erwandern. Der vom NABU konzipierte Wanderweg verläuft auf 95 km von Kappeln nach Flensburg und stößt dort auf den 75 km langen dänischen Gendarmenstien, der am jenseitigen Fördeufer nach Sonderborg führt. (edit ein halbes Jahr später: Ich hab´s erledigt; also bin den Fördesteig gegangen. Das mit der Förde stimmt.)

 

Angelns Côte d’Azur: der Fördesteig

 

Das Strandhotel liegt direkt am Fördesteig. Er verläuft hier auf der Promenade, dem Förde-Boulevard wie die Glücksburger sagen. Gleich hinter der Hanseatischen Yachtschule, windet sich der Weg über eine weiße Holzbrücke ins Quellental und dann hinauf in den Ruheforst Wille.

 

Forst Wille

 

Forst Wille ist einer von 3 Wäldern, die Glücksburg zum perfekten Herbstziel machen. Wenn die Blätter sich verfärben, wird einem der Wert der Wälder ja immer besonders bewusst und der Glückburger Wald ist eine Wucht. 24 Baumarten wachsen hier bis dicht an den Strand, manche mehr als 200 Jahre alt. An den bizarren, vom Wind geformten Buchen im Ruheforst Wille kann man sich kaum sattsehen. Und dazu noch das Rauschen der Förde…

 

 

Ein erneuter Regenguss ließ mich am Strand Solitüde umkehren. Wäre ich weitergelaufen, hätte ich nach 10 km die Hafenspitze Flensburgs erreicht. Schaut mal bei Ulrike von Watt & Meer – sie hat die „städtische“ Etappe des Fördesteigs neulich absolviert. Wer nicht gern zweimal die gleiche Strecke geht, kann von Flensburg aus mit dem Dampfer zurückkehren. Und dann direkt zur Stärkung ins Bistro Sandwig stolpern.

 

Gluecksburg

 

Das Bistro Sandwig gehört zum Strandhotel und stellt das lockere Pendant zur gehobenen Küche im Restaurant Felix dar. Bistro SandwigBestellt wird am Tresen, serviert wird am Tisch – oder draußen im Strandkorb. Zu den Klassikern gehören gebratene Garnelen und Burger (beides lecker). Demnächst – Ende November – wird das Bistro übrigens für einige Wochen zur nördlichsten Skihütte Deutschlands.

Das erheiterte ein älteres Ehepaar aus Süddeutschland.  Sie hatten sich zu uns an den Tisch gesetzt und waren rundherum begeistert von ihrem ersten Besuch „so hoch oben im Norden“. Nur das Wetter, sagten sie, würde sich in den nächsten Tagen hoffentlich freundlicher zeigen als heute.

Wir verrieten nicht, dass dies einer der freundlichsten Tage seit langem war. Sie hätten sich das vermutlich sowieso nicht vorstellen können. Und wozu auch Hoffnungen zerstören?

Dabei war es ganz deutlich zu spüren. An diesem Abend verabschiedete sich der fast-noch-Spätsommer endgültig von Norddeutschland. Ich schaute ihm vom Balkon aus beim Packen zu. Er hatte es wohl ziemlich eilig. Oder mir war zuvor einfach noch nicht aufgefallen, wie schnell sich mittlerweile die Dämmerung der Nacht geschlagen gibt.

 

Ochseninsel

 

Bald war im Mondlicht das dänische Ufer kaum mehr von der Förde zu unterscheiden. Hin und wieder wanderten dort drüben Lichtpunkte vereinzelter Autos über den Fjordvejen. Ich fror ein wenig, trotz Decke und Kissen. Und am nächsten Morgen war endgültig Herbst.

 

Über Nacht kamen die Wolken: Glücksburg im Herbst

 

Es nieselte, als ich mich zum nördlichsten Leuchtturm Deutschlands aufmachte, der vielleicht auch der schmuckloseste Leuchtturm Deutschlands ist. Aber der Fördesteig ist in dieser Richtung sogar noch herrlicher. Ursprünglicher. Und ich wusste ja, dass jenseits von Schausende die wunderbare Halbinsel Holnis wartet.

 

Herbst

 

Bis Holnis schaffte ich es aber nicht. Es regnete immer stärker und irgendwann begann ich mich nach diesen Dingen zu sehnen, mit denen Norddeutsche versuchen, die Zeit bis zum nächsten Frühling zu überbrücken. Eine heiße Dusche. Ein gutes Frühstück. Ein extrem appetitlicher Obsalat aus winzigklein geschnittener Papaya, Physalis, Mango, Drachenfrucht, Granatapfel. Und ein Flensburger Tageblatt.

Dort las ich etwas sehr Seltsames. Ich hatte mich schon am Vortag gefragt, warum das Geländer der Seebrücke in Pappe eingeschlagen war. Und ich hatte mich gewundert, dass einige (offenbar Wahnsinnige oder Wikinger) sich trotz kühler Temperaturen ins Wasser gewagt hatten.

 

Saisonende

 

Es war so: Als wir und der Wolkenbruch Glücksburg erreichten, wurde gerade das Saisonende zelebriert. Eine Fasssauna diente zum Aufwärmen nach dem Abbaden. Und in der seltsame Pappform auf dem Seebrückengeländer war kurz zuvor das längste Hot-Dog der Welt fabriziert worden.

Der Sinn dahinter wurde mir nicht ganz klar. Doch es war exakt eine dieser Nachrichten, die mich an Regionalzeitungen faszinieren. Genau wie die Tatsache, dass die Glücksburger den Weltrekord Südamerikanern abgejagt hatten. Dass ausgerechnet in Paraquay der längste Hot-Dog der Welt hergestellt worden war, war noch so eine Sache, die ich mir nie hätte vorstellen können. Aber eben dafür geht man ja auf Reisen. Um Unvorstellbares zu entdecken.

 

Gluecksburg

 

Offenlegung: Das Strandhotel hat uns zu Übernachtung und Frühstück eingeladen. Wir bedanken uns ganz herzlich für zwei wundervolle Tage und einen der besten Balkone, die wir je hatten.

Wer am Wochenende noch nichts vor hat: am 28. + 29.10.17 wird mit dem Lichtermeer wieder die dunkle Jahreszeit an der Ostsee eingeläutet. In Glücksburg läuft die Veranstaltung unter dem Motto: Licht & Hygge.

16 Kommentare

  1. Soifz…. genau in dieser Ecke (Holnis & Glücksburg haben wir viele Häuser angeschaut und irgendwie würde es dann doch die Insel ….. aber so wunderbar, nochmal virtuell mit euch ganz nach da oben zu reisen ?

    • Die Ecke hat´s mir auch total angetan. Für mich (Herr-der-Ringe-Freak) ist Angeln das Ithilien von Schleswig-Holstein. Aber Inseln sind ja generell auch nicht ohne. Anderer Schnack eben. Aber noch mehr Meer.

  2. Die Küste und das Hinterland rund um Glücksburg ist wirklich schön. Eure Fotos fangen diese besondere Atmosphäre wunderbar ein. Einmal waren wir mit der ganzen Familie dort. Anlass war die goldene Hochzeit meiner Eltern (aber nur im ganz kleinen Kreis). Das Bistro Sandwig war jeden Abend unser Treffpunkt. Richtig tolle Sonnenuntergänge haben wir dort genossen. Leider ist es von uns fast ein wenig zu weit für ein Wochenende, so dass wir in letzter Zeit eher in der Lübecker oder Kieler Bucht hängen bleiben. Liebe Grüße von Andrea

  3. Gott, wie schön – ich bin richtig hin und weg. Dieses Hotel, die geschmackvolle Einrichtung, das Ambiente, die Natur, das längste Hot Dog der Welt, und dann auch noch der traumhafte Blick über die Förde rüber nach Dänemark. ??♥️ Mehr geht nicht!

    Liebe Abendgrüße, Martina

    • Moin, Moin, Martina – das kann ich mir vorstellen, dass es Dir gefällt. Scheint mir auch ein sehr guter Platz für eine deutsch-dänische Gemeinschaft. (Sind ohnehin viele Dänen da.) Komm gut in den Tag, Stefanie

  4. Moin Stefanie, da hätten wir uns ja fast getroffen, im Ruheforst Wille, beim Fotografieren der Sonnenstrahlen im Wald. Oder im Strandbistro Sandwig, oder… Das Strandhotel ist wirklich einmalig und unbedingt einen Aufenthalt wert! Traumhaft, so ein Balkon! Und Danke fürs Verlinken, ich habe mich gleich mal revanchiert! Liebe Grüße, Ulrike

  5. Wohaaa, sieht das schön aus. Da will ich auch hin, Unglaublich toll. Und dieser Wald mit den krummen Bäumen. Glücksburg ist steht jetzt definitiv auf meiner Liste… Danke für die Inspiration

  6. Und im nächsten Jahr klappt es hoffentlich endlich mal mit dem Fördesteig und/oder dem Gendarmenstien… Den Mund hast du mir mit deinen schönen Bildern und Geschichtchen jedenfalls ordentlich wässerig gemacht, Stefanie. 😉

    • Das hoffe ich auch. Also nicht nur, dass es bei Dir klappt. Sondern auch bei mir. 🙂 Ich will das schon seit drei Jahren und kriegs nie hin… Schönes Wochenende, Stefanie

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