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Cyanea Capillata – Norddeutschlands „weißer Hai“

Surendorf

Seit Wochen knallt die Sonne vom Himmel und hat das Meer auf 23 Grad erwärmt. Kristallklar ist das Wasser heute; beinahe unbewegt. Oder anders gesagt: ein Traum. Und doch wagt sich niemand hinein. Nicht einmal mit den Füßen.

Wenn jetzt Roy Scheider und Richard Dreyfuss wild diskutierend an den Strand spaziert kämen, würde mich das gar nicht wundern. Denn genau wie auf Amity Island sind sich auch an den deutschen Küsten die Experten uneins über das Ausmaß der Bedrohung. Und man weiß ja (wenn man den weißen Hai kennt), wohin das führen kann.

Bisher weht nur die gelbe Flagge über dem Strand von Surendorf. Das bedeutet noch kein Badeverbot, sondern lediglich: Achtung, Achtung, die Situation ist brenzlig. Im wortwörtlichsten Sinn. Denn Cyanea Capillata ist ausgeschwärmt, besser bekannt als Feuerqualle.

 

 

Feuerqallen sind an Nord- und Ostsee nichts Außergewöhnliches. Bei auflandigen Winden driften sie zu Tausenden vom offenen Meer an die Küsten. Nur sind sie diesen Sommer auffallend groß.

„Wir haben diesen Sommer besonders warme Temperaturen, wie jeder mitbekommt. Von daher wachsen die Tiere schneller“, sagte Ulrich Bathmann vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde. Es gebe an den Stränden aber nicht unbedingt mehr Feuerquallen als üblich.

Wirklich nicht? Im August berichteten die Gazetten: 50 Verletzte auf Fehmarn. 90 in Heiligendamm. 120 in Travemünde. 600 zwischen Scharbeutz und Timmendorf. Badeverbot in der Lübecker Bucht. Badeverbot in Plön. War das schon immer so? Reines clickbaiting?

 

 

Quallen lassen sich schlecht zählen. Aber man geht davon aus, dass sich ihr Bestand in Nord- und Ostsee seit den 1990er Jahren verdreifacht hat. Durch Nährstoffeintrag (also Umweltverschmutzung) und Überfischung haben Quallen gut zu essen und wenig Feinde. Das ist weltweit zu beobachten und mancherorts ein Problem. So sterben durch Quallenverbrennungen  jährlich 100 Menschen (zum Vergleich: durch Haie 10).

Norddeutschlands „Weißer Hai“ ist eine „Gelbe Haarqualle“

 

Zu Tode kommt man durch Cyanea Capillata, die Gelbe Haarqualle, nicht. Sagt die Quallen-Expertin des GEOMAR-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel:

Sie selbst habe vor Kurzem, beim Baden in der Strander Bucht, Verbrennungen erlitten. „Ich bin durch Seegraswiesen geschwommen, in denen sich wohl mehrere Quallen verhakt hatten. Kontakt mit Nesselzellen am ganzen Körper, das war schon eine andere Nummer als der Kontakt mit nur einer Feuerqualle.“ Es habe sich so angefühlt, „als ob man sich in eine Wiese voller Brennnesseln gelegt hätte“. Aber: „Ich gehe weiterhin jeden Tag in der Strander Bucht baden, nur bei Niedrigwasser sollte man die flacheren Seegraswiesen meiden“, so Cornelia Jaspers.

Mich bringen bei Feuerquallenalarm jedoch keine 10 Pferde ins Wasser. (Ich schwimme allerdings auch nie durch Seegraswiesen; ob nun mit Quallen oder ohne). Es ist eine Typfrage, würde ich sagen.

 

Feuerqualle

 

Es ist auch eine Typfrage, ob man die gelbe Flagge ignoriert. Der Mann, der in Sichtweite unseres Strandkorbs bis zum Bauch im Wasser steht, wünschte sicherlich, er hätte zweimal drüber nachgedacht. Ein kleinerer Schwarm ist aus dem Nichts in seine Richtung gedriftet und nun versuchen Frau und Tochter vom Ufer aus, ihn durch die Medusen zu lotsen. Dabei ist das nur die halbe Miete: auch abgerissene Tentakel verursachen Verbrennungen (bei denen es sich eigentlich um Vergiftungen handelt). 70 bis 150 dieser haarfeinen Fäden besitzt die Feuerqualle – sie können bis zu 30 Meter lang werden.

 

Was tun bei Feuerquallen-Alarm?

 

Außerhalb des Wassers vereenden Quallen schon nach einigen Stunden. Das Drama ist also ganz auf ihrer Seite, wenn sie an die Küsten getrieben werden. Obwohl Feuerquallen wirklich hochinteressant und faszinierend sind, ist es keine gute Idee, sie zu beerdigen oder zu sezieren. Die Nesselzellen sind noch tagelang aktiv. (Falls es mal zum Kontakt gekommen ist, hilft die Apotheken-Umschau).

 

 

Eine gar nicht so kleine Gruppe von Badegästen versucht, das Problem zu umgehen. Die Surendorfer Strandgastronomie kracht heute aus allen Nähten. Aber so richtig Partystimmung will nicht aufkommen. Denn eine zweite Art macht klar, dass sie drauf pfeift „dem Menschen Untertan“ zu sein. Wespen haben diesen Sommer ebenso sensationelle Bedingungen wie Quallen. Und so wird mir dieser Tag am Meer als kleine Lektion in Sachen Demut in Erinnerung bleiben.

 

Sonnenuntergang

 

Was ich mich frage: Wenn der Wind an der Ostsee in Schleswig-Holstein auflandig weht, weht er dann an der Nordsee (immer) ablandig? Weil… wenn es so wäre, hätte man ganz oben im Norden ja immer mindestens ein Meer in der Nähe, wo garantiert keine Feuerquallenschwärme auftreten. Falls hier einer mitliest, der sich damit auskennt, würde ich mich über einen Kommentar freuen.

Abendstimmung

15 Kommentare

  1. @Fehmarn: also wo die 50 Verletzten plötzlich her kamen, habe ich mich auch gefragt. Oder haben die jede brennende Stelle gezählt? Tatsächlich gab es gar nicht so viele Feuerquallen dieses Jahr und sie landen ja auch nicht an allen vier Küsten gleichzeitig an.

  2. Liebe Stefanie,
    zu letzterem kann ich Dir sagen, dass es in der Tat so ist, dass, wenn der Wind das Wasser von Osten nach Westen drückt, im Extremfall Überschwemmungen beispielsweise an der Kiellinie entstehen. Auf der Nordseeseite ist dann Niedrigwasser. Umgekehrt eben auch, dann kannst Du in Eckernförde meterweit trockenen Fußes auf dem Meeresboden gehen.
    Aber das ist nur ein Punkt. Denn: Die Ostsee ist ein Binnenmeer. Wenn das Wasser aus der Ostsee hinausgedrückt wird, geht es an der dänischen Nordspitze in die Nordsee. Und sorgt ebenso für lange anhaltendes Niedrigwasser.
    Ein toller Nebeneffekt, der glücklicherweise alle paar Jahre auftritt, ist, dass dann, wenn der Atlantik über die Nordsee wieder Wasser in die Ostsee hineindrückt, der Sauerstoffgehalt in der Ostsee massiv ansteigt und die Wasserqualität bedeutend verbessert. Das war wohl letztmalig nach 60 Jahren 2014 der Fall.
    Hier eine Beschreibung dazu: http://weites.land/frischwasser-fuer-die-ostsee/

    Ich hoffe, ich hab es einigermaßen anschaulich beschrieben, bin selbst ja kein Wissenschaftler.

    Was die Quallenplage der Meere betrifft, so könnten wir alle einen riesigen Beitrag leisten, wenn wir komplett auf Thunfisch verzichten. Denn Thunfische fressen gerne Quallen. Aber Quallen fressen riesige Mengen an Fisch und haben schon ganze Meeresfarmen zerstört.

    • Ohje, ich verzichte zwar schon seit einigen Jahren auf Thunfisch, aber nur weil ich den Verzehr meiner Katzen kompensieren möchte… Mit denen ist diesbezüglich nicht zu reden, fürchte ich.

      Interessanter Link, Kai. Vielen Dank.

  3. Seegras und Quallen sind für mich auch ein absolutes “geht gar nicht”! Ich dachte auch immer, dass es Quallen in der Nordsee nur sehr selten gibt aber in diesem Jahr sind es deutlich mehr.

    Wer hat Quallen eigentlich erfunden?

    Ach ja, Tunfisch esse ich auch nicht mehr. Nicht, weil ich den Konsum der Katzen kompensieren will, sondern weil ich, seit die Katzen Tunfisch fressen, den Tunfisch irgendwie mit Katzenfutter verbinde. LG Ulrike

    • Daran habe ich noch nie gedacht – aber jetzt verstehe ich endlich, warum es mir gar nichts ausmacht, auf Thunfisch zu verzichten 🙂

  4. Ich kann die Biester ja auch nicht ausstehen. Wenn wir an der Ankerboje liegen und ich schwimmen gehe, muss mein Skipper immer vom Deck aus Quallenwache halten. Aber dass die Fäden bis zu 30 m lang werden können, wusste ich nicht. Ups! ?

    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
    Martina

  5. Ich wohne weit genug vom Meer entfernt und finde Quallen wunderschön 😉 Thunfisch esse ich aber auch nicht, und wenn die Katze Thunfisch essen will, soll sie sich einen fangen!

    • Da Du weit genug vom Meer entfernt lebst, wird es Deiner Katze wohl nicht so häufig gelingen, einen Thunfisch zu erlegen?! Ich finde Quallen übrigens auch schön. Und faszinierend. Es gibt ja sogar welche, die niemals sterben. Jedenfalls werde ich beim nächsten Aquarium-Besuch mal einen deutlichen Augenmerk auf Quallen legen. Liebe Grüße, Stefanie

  6. hinrich sagt

    Ich glaube nicht, dass sich Quallen vor Timmendorf oder Fehmarn vor Thunfisch fürchten;
    den gibt’s doch in der Ostsee nicht.

Du hast was zum Thema beizutragen? Darüber freue ich mich sehr.

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