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Ist Riga das neue Berlin?

Flagge Lettland

Es erstaunte mich, auf diversen Blogs zu lesen, Riga sei das neue Berlin. Denn ich glaubte, Riga sei eine raue Hafenstadt am eiskalten Meer.

Beides stimmt nicht, wird mir klar, als wir den Mini-Bus (2 Euro, 20 Min) vom Flughafen in die City nehmen. Erstens liegt die Hauptstadt Lettlands überhaupt nicht am Meer; sondern gute 20 Kilometer die Daugava hinauf. Zweitens ist der Busfahrer freundlich (also kein Berliner, wa?!)

Nur der Sommer ist wie in Berlin: stabil. 30 Grad, blauer Himmel.

 

Akademie der Wissenschaften Riga

Das Erbe der Besatzer: mittig die Akademie der Wissenschaften im Stil des sozialistischen Klassizismus der 1950er Jahre. Davor die Markthallen; errichtet aus deutschen Luftschiffhallen.

 

Der Bus spukt uns nahe des Bauchs von Riga aus: dem Zentralmarkt, einem der größten Märkte Europas. Für den Bau der Markthallen wurden zwei deutsche Zeppelinhallen genutzt. Walhalla und Walter heißen die mobilen Luftschiffhallen aus denen die Letten fünf Pavillons konstruierten, in denen heute – hübsch voneinander getrennt – Fisch, Fleisch, Milch, Gemüse und Gastronomiebedarf verkauft wird.

 

Zentralmarkt Riga

 

Geht es in den Hallen monothematisch zu, laufen einem draußen Ohren, Nase und Augen über. An 364 Tagen im Jahr bieten Bauern, Hobbygärtner und Handwerker ihre Waren auf dem Gelände an. Zwischen 80.000 und 100.000 Menschen besuchen täglich den Zentralmarkt.

 

Riga, die größte Stadt des Baltikums

 

Und jetzt ist es da, dieses Hauptstadtgefühl, das sich nur in großzügig angelegten Städten einstellt (also z.B. nicht in Hamburg sondern in Berlin. Oder Riga.) Nur ein paar Schritte und wir sind im Herzen von Riga, das sich in Neustadt und Altstadt gliedert.

 

Riga

 

Für den Look der Neustadt war Michail Eisenstein zuständig; ein jüdischer Deutsch-Balte, der den russisch-orthodoxen Glauben angenommen hatte. Geboren in St. Petersburg wurde der „Architekt des Jugendstils“ 1893 Leiter der Rigaer Bauverwaltung. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Neustadt zum wichtigsten Jugenstilensemble der Welt.

 

 

Mehr als 700 prunkvolle Gebäude kann Riga aufweisen; über 50 hat Eisenstein selbst entworfen. Fantastische Fabelwesen mit weit aufgerissenen Mündern und mürrischen Minen blicken von verschwenderischen Fassaden. Eisensteins Architektur zielt direkt ins Innere des Betrachters. Mit der Gigantonomie von Berlin hat seine Kunst nichts zu tun. Sie erinnert in ihrer Feinheit eher an Wien oder Paris.

 

Riga, die Jugenstil-Metropole

 

Wir reden an diesem Tag (in diesen Zeiten) viel über die zerstörerische Kraft politischer Systeme. Wie sie Familien trennt. Städte. Länder. In Lettland ist das sichtbar wie kaum irgendwo sonst. Riga stand in seiner langen Geschichte unter deutscher, polnischer, schwedischer und immer wieder russischer Herrschaft. Auch zu Eisensteins Zeiten war Riga dem Zarenreich zugehörig.

 

Riga

 

Da Eisenstein sich nicht mit der Oktoberrevolution identifizieren konnte, wanderte er nach Berlin aus. Sein Sohn Sergej hingegen ging nach Moskau und wurde mit dem Film Panzerkreuz Potemkin einer der größten Regisseure aller Zeiten.

 

Die Neustadt endet jenseits der Parks und Grünanlagen, die auf den früheren Stadtbefestigungen entstandenen sind. Autos müssen draußen bleiben. Das macht Riga zu einer leisen, entspannten Stadt.

Auf dem Freiheitsboulevard ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeit Rigas zu finden: Das Freiheitsdenkmal. Es symbolisiert die Unabhängigkeit Lettlands.

 

Freiheitsdenkmal

 

Die Freiheitsfigur blickt zur Altstadt, die noch viele Gebäude aus ihren Gründungsjahren aufweist. Es war übrigens ein Bischoff aus Bremen, der 1201 den Grundstein legte. Er kam als Missionar; was ja in der Regel nichts anderes als Kolonialismus ist.

 

KatzenhausRiga wurde von einem Bremer gegründet

Die Altstadt ist aufgemöbelt und wunderschön. Aber auch ganz schön touristisch. In Gruppen pilgern die üblichen Japaner, Europäer und Amerikaner durch enge Gassen. In mittelalterlicher Kulisse speist man Burger zu Live Musik. Die Deutschen besetzen mal wieder alle Plätze in den Restaurants, die von der Süddeutschen empfohlen werden. Altstadt RigaVieles ist wirklich uralt. Manches Rekonstruktion. Etwa das gotische Schwarzhäupterhaus. 1941 wurde das Schwarzhäupterhaus von deutschen Besatzern beinahe zerstört. Was übrig blieb, sprengten die russischen Besatzer 1948. In den 1990er Jahren wurde es originalgetreu wieder aufgebaut.

 

 

Als wir nicht mehr auf Asphalt laufen mögen, unternehmen wir eine Bootstour auf der Daugava, dem Schicksalsfluss, wie die Letten sagen. Es ist eigentlich die langweiligste Bootstour der Welt, denn Riga versteckt sich irgendwie – vom Fluss gesehen. Andererseits ist Wasser natürlich das Wichtigste in einer Stadt. Und überhaupt.

 

Riga

 

Riga, das neue Berlin? Das können wir nicht finden. Dafür ist alles zu adrett und sauber und schön. Natürlich, es gibt ein Hippsterviertel und Schrabbelecken. Besonders am anderen Ufer. Aber wo gäbe es das nicht?! Riga ist das neue Prag, meint Volko. Und das trifft es ziemlich gut.

 

 

Aber eigentlich ist Riga natürlich Riga. Unbedingt einen Besuch wert. Vor allem weil Riga eine Ostseemetropole ist. Und was die Bademöglichkeiten betrifft mindestens so gut wie Kopenhagen, Stockholm oder Helsinki.

 

Riga ist Riga. Und Riga Strand: Jurmala

 

1920 wurden einige Badeorte zur Stadt „Rigas Jurmalas“ zusammengefasst; Strand von Riga. Jurmala zieht sich über 26 Kilometer (!) an der Ostsee entlang. Jurmala ist weißer Sand und dichter Kiefernwald und ein Durcheinander aus prächtigen Villen, Sommerhäusern in klassischer Holzbauweise und vereinzelten Sowjet-Scheußlichkeiten. Das ist bezaubernd.

 

 

Jurmala erreicht man mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Flughafen aus in 20 min; von der City braucht man eine knappe halbe Stunde. Gefühlt jedoch reist man 100 Jahre in der Zeit zurück. Dort Quartier zu nehmen, wäre schön praktisch für Leute, die ein Städtetrip zeitweise stresst. Also z.B. für mich.

 

Ostsee

 

Aber wir sind ja nicht nur für einen Kurzbesuch nach Riga gekommen. Wir sind im Urlaub in Lettland. Und der geht jetzt erst so richtig los. Denn nördlich von Jurmala beginnt die Einsamkeit. Wer sich dafür interessiert: Klick.

 

8 Kommentare

  1. Hm….
    als Ostseemetropole mit Sicherheit sehenswert und spannend, aber irgend etwas hat mich beim Lesen depressiv gemacht. Bin gespannt auf eure Einsamkeit am Meer. 😉

  2. Vielleicht die berühmte russische Melancholie?! Das Baltikum hat eine ganze Portion davon abbekommen. Wir mögen das gerade.

  3. Deine Berichte machen Lust auf mehr, liebe Stefanie. Und die russische Melancholie mag ich auch irgendwie. Habt Ihr zufällig schöne Häfen gesehen, die ihr empfehlen könnt?

    Liebe Grüße, Martina

  4. Hallo Stefanie,
    wir waren im März in Riga und einen Tag in Jurmala – das war super gewesen. Ich kann auch nicht sagen, dass Riga das neue Berlin ist. Riga ist Riga wie du schon sagst. Eine Stadt die sich nicht verstecken muss, die sehr schön ist und viel zu bieten hat. Irgendwie wird der Osten nicht so wirklich als Reiseziel angesehen. Wir hatten unseren Sommerurlaub in Polen verbracht und einen 2wöchtigen Roadtrip durchgeführt, der an der poln. Ostseeküste bis über viele Städte ging. Es war wunderbar. Die meisten haben nur ungläubig den Kopf geschüttelt als sie Polen hörten. Ich kann es nicht nachvollziehen. Melancholie kann ich bei diesen Ländern aber nicht feststellen. Im Gegenteil – eher einen Aufschwung und Frische 🙂
    VG
    Iris

    • Liebe Iris, hab mir gleich mal Deine Polen-Route angesehen. Großartig. Du hast Recht, viele verbinden mit Urlaub noch immer den Süden. Kann ich gar nicht verstehen – aber mir ist es ganz angenehm, dass der Osten nicht so überlaufen ist. (Da bin ich sehr gespannt, was Du über Polen berichten wirst. An der Küste soll´s in den Sommermonaten ja schon ziemlich lebendig sein.). Und was Riga betrifft: Toll Deine Fotos von Jurmala mit Wintersonne. Würde ich auch jedem empfehlen, der einen Kurztrip nach Riga macht. Liebe Grüße, Stefanie

    • Hallo Joe, ich hab grad mal bei Dir nachgesehen, aber keine Expertentipps für Riga gefunden. Falls ich was übersehen habe, verlinke gern. Liebe Grüße, Stefanie

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